ZVEI zeigt auf, was derzeit bei Netzausbau, Ladeinfrastruktur, BIM und Gebäude-Energie-Gesetz auf die Branche zukommt

Vom 12. bis 14. Juni veranstaltete der Landesinnungsverband der Elektro- und Informationstechnischen Handwerke Berlin Brandenburg in diesem Jahr für den Zentralverband der Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) die obligatorische Mitgliederversammlung. Dabei nutzte Andreas Bettermann in seiner Funktion als Vorsitzender des Fachverbandes Elektroinstallationssysteme im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) die Gelegenheit, der Branche den Spiegel vorzuhalten. Auf der einen Seite steht fest: Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage ist für die gesamte Branche außerordentlich gut. Letzten Endes muss es aber auch darum gehen, heute die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft zu stellen. Vor diesem Hintergrund möchte 'markt intern' allen Branchenteilnehmern ans Herz legen, sich mit künftigen Herausforderungen ernsthaft zu befassen. Die nachfolgenden Ausführungen geben den Original-Wortlaut wieder, mit dem sich der Unternehmer Andreas Bettermann im Rahmen eines Grußworts am 13. Juni 2019 im Namen des ZVEI an die Branchenöffentlichkeit gewandt hat:

„Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, die Grußworte der Elektroinstallationsindustrie überbringen zu dürfen und alljährlich Ihre Aufmerksamkeit zu nutzen und zum Nachdenken anzuregen. Es liegt mir am Herzen, Sie zu motivieren, die anstehenden Marktherausforderungen anzupacken. Denn es ist keineswegs sicher, ob unsere Branche die vielfältigen technologischen Chancen des wirtschaftlichen Wandels wirklich nutzen wird. Ich möchte Ihnen sagen, warum ich hier so skeptisch bin.

Vordergründig sieht's aktuell gut aus. Stabile Baukonjunktur in Deutschland, Vollbeschäftigung im deutschen Handwerk und sogar Ablösesummen für junge Fachkräfte werden jetzt gefordert. Das sind Stilblüten eines Booms. Im Hintergrund laufen aber gerade radikale Prozesse ab. Es gibt zentrale Herausforderungen, die heute strategisch angefasst werden müssen, um langfristig erfolgreich sein zu können.

Meine Damen und Herren, die politischen Einflüsse auf unseren bisher freien Elektroinstallationsmarkt werden größer. Die Chancen und Risiken erhöhen sich dabei. Wir müssen uns viel stärker in die politischen Prozesse einbringen. Dafür müssen wir als Branche stärker ins Lobbying investieren und auch in die Verbandsarbeit. Bisher konnten wir mitsegeln, denn der Trend, dass unsere Gebäude immer elektrischer werden, brachte uns Marktchancen. Die Risiken, dass andere Player diese Märkte besetzen können, haben wir verdrängt und konzentrieren uns stattdessen weiter auf das Tagesgeschäft. Andere Branchen dagegen beeinflussen im Hintergrund gesetzliche Regelungen ganz massiv, damit sie später als Konsortialführer die Veränderungen organisieren können. Hier müssen wir wachsam sein und langfristig denken.

Am Beispiel Netzausbau und Ladeinfrastruktur werden wir sehen, wie politisch motivierte Technologiemärkte sich neu verteilen. Die Ladeinfrastruktur für Elektroautos wird jetzt massenmarktfähig ausgebaut. Wer glaubt, unsere Branche könne diesen Markt mit den uns bekannten Vermarktungsinstrumenten im dreistufigen Vertrieb bearbeiten, der wird enttäuscht werden. An dem Thema werden wir sehen, wie die Autoindustrie die wegbrechende Wertschöpfung über Vorwärtsintegration ausgleichen will. Dabei werden Sie nicht nur Wallboxen als Autozubehör inkl. Installation vermarkten. Nein, Sie werden öffentliche Ladeinfrastruktur selbst aufbauen. Im Hintergrund werden Mobilitätskonzepte entwickelt, die das Nutzen von Autos ins Zentrum des Geschäftsmodells rücken. Koordiniert durch Software und Daten werden Hersteller zu Zulieferern und das Handwerk zur verlängerten Servicekraft. Im Übrigen werden hier auch eine Innogy oder eine Tennet mitspielen.

Hintergrund-Infos zur bevorstehenden Einführung
eines neuen GebäudeEnergieGesetzes (GEG)

Die Bundesregierung ist gegenwärtig damit beschäftigt, ein neues GebäudeEnergieGesetz (GEG) zu schaffen. Dazu sollen die derzeit noch parallel laufenden Regelungen folgender Gesetze zusammengeführt werden: Energieeinsparungsgesetz (EnEG) Energieeinsparverordnung (EnEV) Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG). Auslöser für die Entwicklung war unter anderem der Erlass einer entsprechenden EU-Gebäuderichtlinie aus dem Jahr 2010. Diese sieht die verbindliche Einführung eines sog. Niedrigstenergie-Standards für Neubauten vor. Ab 2019 sollen die Regelungen für öffentliche Gebäude gelten. Privatwirtschaftliche Gebäude fallen voraussichtlich ab 2021 in den Geltungsbereich des künftigen GEG.

Meine Damen und Herren, der Klimaschutz bekommt wieder Auftrieb. Die Grünen fliegen in Zustimmungsregionen einer Volkspartei. Der Druck auf die GroKo ist enorm. Man wird wohl über CO2-Bepreisung oder steuerliche Bonus-Systeme versuchen, den CO2-Ausstoß und die Energieeffizienz zu steuern und zu entwickeln. Das wird Energieeffizienztechnologien befördern. Auch hier versuchen gerade die Bau- und TGA-Branchen mit viel Manpower im GEG-Gesetzgebungsprozess ihre Interessen zu platzieren (Anm. d. Red.: vgl. nebenstehend aufgeführten Info-Kasten). Die Gebäudeautomationsbranche ist da vergleichsweise ressourcenschwach unterwegs.

Auch die Einflüsse des Internets verändern nachhaltig die Gebäudeautomation und unsere Produktwelten. Die neuen cloudbasierten Lösungen zählen nicht zu den Kernkompetenzen der Elektrobranche. Gerade deshalb müssen wir in der Branche in den IT-Wissensaufbau investieren. Durch die Vernetzung und durch software- und datenbasierte Technologien werden beschleunigte Prozesse und Geschäftsmodell-Innovationen entstehen. Weder Hersteller noch Handwerker werden mit den bisherigen Methoden diese Märkte besetzen können. Ich möchte nicht dramatisieren, aber Märkte unterliegen dem Selektionsprinzip. Nur Anpassung führt zum Überleben.

Klar werden wir in unserem Stammgeschäft immer ein gewisses Volumen haben. Aber die Frage wird bei weiter wachsender Produktivität sein, ob die Konditionen von heute wirklich für die Zukunft zu halten sind. Wir wissen doch alle: Innovationen führen in die Gestaltungsrolle, die Austauschbarkeit führt zum Preisverfall und in die Abhängigkeit. Unsere Branche muss weiterhin ihre Prozesskosten senken und dabei noch bequemere Prozesse mit einer noch höheren Handlungsschnelligkeit etablieren.

Meine Damen und Herren, unser Leitbild 'Seamless Customer Experience' ist umgesetzt. Wir können den Ablauf des dreistufigen Vertriebs nun digital umsetzen. Wir stehen inhaltlich nun vor dem letzten Schritt, nämlich den digitalen Einkauf aus der Handwerkersoftware heraus durchzuführen. Mit der Schnittstelle ELBRIDGE 3.0 wird es für den Fachbetrieb möglich, in verschiedenen Online-Shops und Konfiguratoren der Hersteller jeweils einen Warenkorb zusammenzustellen, um diesen dann in seine Handwerkssoftware zu laden. Es wird damit möglich, eine gebündelte Gesamtbestellung des Fachbetriebs an den Großhändler seiner Wahl zu senden. Damit ist ein großer Schritt in Sachen 'bequemere Prozesse und höhere Handlungsschnelligkeit' gemacht. Doch nicht genug ...!

Meine Damen und Herren, es ist angerichtet. Wir müssen nun ELBRIDGE in den Unternehmen auch anwenden. Mit BIM steht die nächste Herausforderung vor der Tür. Denn die Gebäudeplanung wird digital organisiert. Building Information Modelling (BIM) zwingt alle Fachplaner der verschiedenen Gewerke in einer frühen Planungsphase zur digitalen Zusammenarbeit in einem zentralen Projekt-Datenmodell. Dadurch können Planungsfehler frühzeitig entdeckt werden, man kann genauer kalkulieren und man kann virtuell sehr schnell Planungsalternativen entwickeln. Allerdings wird BIM nur dann zur Realität, wenn alle relevanten Bauprodukte datentechnisch beschrieben werden, um ein digitales Abbild des Gebäudes zu bekommen.

Wir Hersteller und der Handel sind aufgefordert, diese BIM-Daten zu liefern. Wer in dem künftigen digitalen Ausschreibungsprozess keine BIM-Daten liefern kann, der ist raus aus dem Geschäft. Diese Umstellungen laufen noch im Hintergrund ab. Wir werden hier aber an einen Punkt kommen, wo die digitale Planung die traditionelle Planung disruptiv ablösen wird. Wer als Hersteller und Händler die BIM-Entwicklung heute nicht begleitet, wird später keine Chance mehr haben, diese Entwicklung aufzuholen.

Und sollte jemand aus dem Fachhandwerk denken, dies betreffe ihn nur am Rande, dann kann ich vor dieser Sichtweise nur warnen. Denn mit BIM wird der Produktentscheidungsprozess verändert. Heute werden konkrete Produkte erst in der Werkplanung, also sehr spät vorgesehen. Mit BIM, also dem virtuellen Planen, können firmenspezifische Produkte schon in frühen Planungsschritten neutral und produktspezifisch eingeplant werden. Das ist ein wichtiger und großer Schritt zur Digitalisierung der gesamten Baubranche. Dieses kollaborative Tool führt alle Gewerke zusammen. Das heißt: Wir Hersteller können den Produktentscheidungsprozess viel früher mit beeinflussen. Diese Prozessveränderung geht zu Lasten des Einflusses des Handwerks und stärkt die Position des Generalplaners und Architekten.

Sie sehen, wir müssen wachsam bleiben, denn das zu lange Festhalten an alten Strukturen ist unser größtes Risiko. Ich möchte zum Abschluss bewusst auch unsere Messepolitik kritisch hinterfragen. Unsere Messelandschaft fußt auf den Marktrahmenbedingungen der Achtzigerjahre. Wir vom ZVEI haben die große Sorge, dass wir uns die heutige Messelandschaft nur noch bis zur nächsten wirtschaftlichen Abkühlung leisten können. Denn eine Light+Building, sechs Regionalmessen, mehr als 100 Hausmessen und 'On Top' eine Verkaufsförderung von Industrie und Handel schaffen heute im Schnitt mehr als zehn Beratungskontakte pro Jahr und Betrieb. Aus ZVEI-Sicht wird sich das so nicht mehr lange halten lassen. Wir diskutieren intensiv über die Messelandschaft. Das Beispiel der 'ineltec' in Basel, die überraschend eingestellt wurde, ist ein deutliches Warnsignal. Für uns Hersteller ist so ein unorganisierter Prozess mit dem kurzfristigen Wegfall von Messeplätzen unbedingt zu verhindern. Dazu müssen wir in der Branche endlich die Realitäten anerkennen und offen über die Messelandschaft diskutieren, um gemeinsam die notwendigen Anpassungsprozesse zu gestalten.

Die Veränderungen einer vernetzten digitalen Welt werden immer sichtbarer. Wir alle müssen eine höhere Veränderungs- und Gestaltungsbereitschaft an den Tag legen. Denn wirtschaftliche Entwicklung heißt Chancen zu ergreifen und sich an die Umstände anzupassen. Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit!“

'mi' meint: Es ist völlig legitim, wenn man bei den hier angesprochenen Themenbereichen die Einschätzungen des ZVEI-Repräsentanten nicht in jeglicher Hinsicht teilt. Wer aber die hier angesprochenen Aspekte bei der strategischen Ausrichtung seines Unternehmens nicht auf dem Schirm hat, für den werden sich die unternehmerischen Perspektiven mittelfristig in Grenzen halten. Dies gilt nicht nur für die klassischen Akteure des 3-stufigen Vertriebs aus Industrie, Großhandel und Fachhandwerk. Auch der eine oder andere Betreiber eines endverbraucherorientierten Online-Shops schläft keineswegs auf Bäumen. Gut möglich, dass diese Akteure auch weiterhin disruptive Wege finden werden, um von den künftigen Herausforderungen profitieren zu können –'mi' bleibt für Sie dran!