Donnerstag, 04. Mai 2023

Hat Markus Söder auf die Kanzlerkandidatur der Union endgültig verzichtet?

Kommentar | Kommentare (1)

Schaut man sich die Veröffentlichungen seit Dr. Markus Söders Auftritt bei Markus Lanz am Dienstag dieser Woche an, dann ist die überwältigende Mehrheit der Kommentatoren der Meinung, ja, er hat dies getan. Diejenigen, die so urteilen, nehmen ihn bei Wort, hatte er doch auf die entsprechende Fragen von Lanz nach einer möglichen Kanzlerkandidatur seinerseits mehrfach versichert: „Für mich ist die Sache erledigt. Ich stehe dafür nicht zur Verfügung.“ Jetzt weiß der Volksmund: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ Bezogen auf Söders Ambitionen hießt das für uns: „Wer ständig seine Meinung ändert, auf dessen Aussagen kann man sich nicht verlassen.“

Söder kontert Vorhaltungen wegen seiner diversen Meinungswechsel gerne mit dem Hinweis, neue Lagen erforderten neue Bewertungen. Deshalb hielt er in der Sendung auch seine 180-Grad-Wende zur Atomenergie – selbst nach Einspielung des Videos seines Auftritts aus dem Jahr 2021 – für „1:1 okay“. Wer nicht mehr so präsent hat, was er am 3. März 2021 gesagt hat, kann sich die Passage der Lanz-Sendung (ab Minute 10.50 die Diskussion zur Atomkraft, sein Statement zur Atomkraft vom 11. März 2021 ab Minute 15.46) gerne anschauen. 2021 hatte Söder erklärt, die Risiken der Atomenergie seien einfach zu hoch. Sie seien untragbar. Bereits 2011 hatte er sich dafür stark gemacht, das AKW Isar I abzuschalten, weil es nicht sicher gegen Flugzeugabstürze sei. Inzwischen will er in Bayern eigenständig Atomenergie weiter erzeugen, weil es ansonsten an ausreichend Strom mangele. Die Risiken seien beherrschbar.

Nun kann man mit guten Gründen die Meinung vertreten, wegen der entstandenen angespannten Lage auf dem Energieerzeugungsmarkt müssten alle Techniken zur Stromgewinnung eingesetzt werden. Allerdings hat der bestehende Stromerzeugungsmangel keinerlei Einfluss auf die Gefährlichkeit der Atomenergie. Entweder war sie nicht so gefährlich, wie Söder 2011 und 2021 getan hat, oder sie ist heute immer noch so gefährlich. Er müsste dann einfach sagen, er habe 2021 die Unwahrheit gesagt oder sich geirrt. Tut er aber nicht. Auch sein Hinweis, der Rest der Welt setzt weiter auf Atomenergie, deshalb sei es absurd, dies in Deutschland nicht zu tun, passt nicht zu diesem Sinneswandel. Denn das tat der Rest der Welt 2011 wie auch 2021 schon. Und auch die Bezugnahme auf Robert Habecks Satz, es sei klar, dass die AKW in der Ukraine weiterliefen, weil sie da seien, zur Erklärung seiner neuen Haltung, ist ein perfider Trick. Denn auch Söder weiß, dass Habeck damit nur die Realität wiedergegeben hat, dass die Ukraine auf den Atomstrom angewiesen ist, weil sie derzeit keine ausreichenden anderen Energiequellen hat und während des unsäglichen Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, weder Windkraftanlagen noch Solarparks bauen kann. Daraus den Aussageinhalt machen zu wollen, Habeck finde Atomstrom in der Ukraine gut, ist schäbig. Die Wahrheit ist schlicht, Söder hat seine Position geändert, weil sich die Umfragen zu dieser Frage geändert haben.

Umfragen sind für Söder das Maß aller Dinge. Das ist allerdings für politische Handelnde nicht ungefährlich. Zwar sollten Politiker darauf achten, was die Bevölkerung mehrheitlich wünscht, aber dafür muss die Mehrheit dann auch alle zur Verfügung stehenden Parameter kennen. Das dürften die wenigsten, gerade bei in Teilen hochkomplexen Fragen. Wer also ein bestimmtes Mehrheitsbild in der Bevölkerung wünscht, um dann danach zu handeln, muss nur dafür sorgen, dass entsprechende „einfache“ Lösungen hinreichend öffentlich verlautbart werden. Dann wird es nicht lange dauern, bis auch die Umfragewerte dorthin tendieren. Genau diese Methode werfen Kritiker von Bündnis 90/Die Grünen denen im Zusammenspiel mit den öffentlich-rechtlichen Sendern gerne vor. Söder macht nichts anderes.

Und deshalb glauben wir ihm auch nicht, er habe endgültig die Ambition auf die Kanzlerkandidatur bei Lanz aufgegeben. Er wird seine Meinung ändern, sollten die Umfragen dies im Spätsommer 2024 hergeben. Er wird auch dann einfach erklären, die Lage habe sich geändert. Wer in der CDU ihn in dieser Frage wirklich ausbremsen will, muss die Frage der Kanzlerkandidatur zeitnah klären. Denn dann würde es für Söder wirklich kompliziert, eine Begründung für einen Sinneswandel zu finden :-)


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (1)

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#1 Leserkommentar
von Eugen Schlachter, 04.05.2023 12:09

<p>Wir müssen leider feststellen, dass viele führenden Köpfe in der Politik ein löchriges Gedächtnis haben. Zielorientiertes Management scheint im Politikbetrieb auch Mangelware zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn Glaubensfragen zur Debatte stehen – dazu gehört etwa die Atomenergie.</p>
<p>Halten wir fest: Die Energieversorger schlossen 2001 mit der damaligen Bundesregierung Verträge, welche das Ende der Atomenergie besiegelten. Diese Verträge wurden 2010 von der Bundesregierung aus CDU/FDP (Merkel) wieder aufgeweicht. Im Zuge der Katastrophe in Fukushima besiegele dann aber - eben diese Regierung - im Frühjahr 2011 das endgültige Aus der Atomenergie zum 31.12.2022. Die Partei des Herrn Söder war bei diesen Entscheidungen Teil der Bundesregierung.</p>
<p>Egal welches Fixdatum wir nehmen: 2001 oder 2011. Allemal genügend Zeit, um für den Wegfall der Atomenergie Alternativen zu schaffen. Dies wurde bis 2021 von der Bundesregierung und den meisten Landesregierungen (insbesondere Bayern) nicht konsequent vorangetrieben, wohl eher verhindert. All diejenigen, die jetzt weiterhin auf die Atomenergie setzen, wollen nur heuchlerisch von ihren Versäumnissen ablenken. Das sollten wir nicht durchgehen lassen.</p>

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