Donnerstag, 16. März 2023

Das „Kunststück“ der Aufstellung der Bilanz der Stadt Köln für 2020

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Vergangene Woche hat die Stadt Köln ihre Bilanz für das Haushaltsjahr 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt. Ja, Sie haben richtig gelesen, die Bilanz für das Jahr 2020. Wieso erst jetzt? Gelten da nicht kürzere Fristen? Im Prinzip ja. Nach § 38 KomHVO NRW (Verordnung über das Haushaltswesen der Kommunen in NRW) hat eine Kommune am Ende eines jeden Haushaltsjahres einen Jahresabschluss aufzustellen. Nach § 95 der Gemeindeordnung NRW ist der Entwurf des Jahresabschlusses innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des Haushaltsjahres dem Rat zuzuleiten. Dieser hat ihn gemäß § 96 bis zum 31. Dezember des Folgejahres festzustellen. Anschließend ist er „unverzüglich“ der Aufsichtsbehörde bekanntzugeben und dann der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aufgrund der Corona-Pandemie hatte das Bundesamt für Justiz die Veröffentlichungsfrist für Abschlüsse von Kapitalgesellschaften zum 31.12.2020 faktisch bis zum 7. März 2022 verlängert. Als Kommune darf man sich offenbar mehr Zeit lassen.

Warum beschäftigen wir uns überhaupt mit der veröffentlichten Bilanz? Nun, weil die Stadt Köln dazu eine Pressemitteilung verschickt hat, die sie nur wenige Minuten später durch eine neue ersetzt hat. Derartiges kommt immer wieder, auch bei Unternehmen, vor, weil sich trotz aller Sorgfalt gelegentlich Fehler in Pressemitteilungen einschleichen. Da alles menschliche Handeln fehleranfällig ist (auch das der Journalisten), ist das an sich kein Grund, dies überhaupt zu erwähnen. In diesem Fall glauben wir allerdings, auf die Korrektur hinweisen zu sollen.

Eingeleitet wird die Pressemitteilung („Stadt Köln legt Jahresabschluss für 2020 vor“) mit der Überschrift „Überschuss durch coronabedingte Isolierungen sowie Hilfen durch Bund und Land“. Das ist für sich genommen etwas sperrig, drückt aber bei genauerem Lesen schon aus, worum es eigentlich geht: Einen Jahresüberschuss der Stadt Köln, der praktisch nur auf dem Papier steht. Das wird bei der weiteren aufmerksamen Lektüre des Textes auch deutlich. Denn dort heißt es zunächst schon: „Statt mit einem kalkulierten Defizit von 51,3 Millionen Euro schließt das Haushaltsjahr 2020 mit einem deutlichen Plus von 234,6 Millionen Euro ab. Wichtig dabei: Dieses Jahresergebnis ist stark durch die so genannte Corona-Isolation geprägt. Ohne den aus dem NRW-Landesgesetz NKF-CIG (Gesetz zur Isolierung der aus der COVID-19-Pandemie folgenden Belastungen in den kommunalen Haushalten und zur Sicherung der kommunalen Handlungsfähigkeit sowie zur Anpassung weiterer landesrechtlicher Vorschriften) verpflichtend isolierten Betrag von 155,5 Millionen Euro läge der Überschuss bei 79,1 Millionen Euro.“

Damit rühmt sich die Stadt Köln ausdrücklich dafür, einen Überschuss in Höhe von 79,1 Millionen Euro erzielt zu haben. Und damit kommen wir zu dem geänderten Text der Pressemitteilung. Die Änderung betrifft den Wortlaut des Zitates, das man der Oberbürgermeisterin Henriette Reker dabei in den Mund gelegt hat. In der ersten Fassung lautet das Zitat: „In dieser Ausnahmesituation ist uns damit ein kleines Kunststück gelungen: Wir haben es geschafft, bestehende Strukturen durch diese schwierigen Zeiten zu retten, ohne die Generationengerechtigkeit aus den Augen zu verlieren.“ Korrigiert hieß es dann: „Ich bin froh, dass es uns in dieser Ausnahmesituation gelungen ist, bestehende Strukturen durch diese schwierigen Zeiten zu retten, ohne die Generationengerechtigkeit aus den Augen zu verlieren.“

Oberflächliche Leser mögen den Unterschied gar nicht bemerkt haben: Am Ende ist das gestrichene „Kunststück“, mit dem die Oberbürgermeisterin ihre Kämmerin, Prof. Dr. Dörte Diemert, loben wollte, einem offenbar geistesgegenwärtigen Mitarbeiter aufgefallen und wieder einkassiert worden. Berauscht von der eigenen Leistung, in einem Pandemiejahr eine Bilanz mit einem Jahresüberschuss erstellt zu haben, hatte ihr Büro offenbar Gefallen daran gefunden, dies als „Kunststück“ zu bezeichnen, mit dem bestehende Strukturen durch schwierige Zeiten gerettet wurden.

Ein Kunststück ist dies schon, aber anders, als mancher jetzt vermuten wird, weshalb dann offenbar in der zweiten Version davon nicht mehr die Rede war. Um zu verstehen, wie es um die Finanzen der Stadt Köln trotz dieses Haushaltsüberschusses bestellt ist, muss man allerdings etwas tiefer in die Pressemitteilung und den Haushalt der Stadt Köln einsteigen.

Dort wird erklärt, im zweiten Halbjahr hätten sich die Hilfen von Bund und Land für die kommunalen Haushalte konkretisiert: Ende des dritten Quartals habe der Landtag das NKF-CIG, das die Isolation der Mindererträge und Mehraufwendungen im Jahresabschluss vorsah, beschlossen. „Diese Isolierung wirkt sich entsprechend verbessernd auf das Jahresergebnis aus“, legt die Stadt offen, um zudem auch den Charakter der Erleichterung deutlich zu machen: „Die isolierten Beträge sind allerdings spätestens ab 2026 entweder in voller Höhe oder in Raten über 50 Jahre im Haushalt abzutragen.“ Schon vor diesem Hintergrund ist es zumindest eigenartig, den oberflächlichen Lesern zu suggerieren, die Stadt Köln sei auf einem finanziellen Polster gebettet. Angesichts der gestiegenen Zinsen wird die Abtragung der Hilfen ziemlich teuer.

Aber es kommt noch ärger. Eine „echte“ und dauerhafte Entlastung sei die am 17. September 2020 im Bundestag beschlossene Aufstockung des Bundesanteils an den Kosten von Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitssuchende um weitere 25 Prozentpunkte gewesen. „Dies bedeutete für die Stadt Köln in 2020 eine finanzielle Entlastung von netto 59,6 Millionen Euro, die im 4. Quartal zur Auszahlung kam“, teilt die Stadt mit. Im Klartext: Die Stadt erweckt indirekt den Eindruck, sie habe Einnahmen von 59,6 Millionen Euro erzielt. In Wahrheit sind das Steuergelder des Bundes, die zum Teil auch die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Köln zu zahlen haben. Denen kann es ziemlich egal sein, unter welchem Namen ihnen Geld aus der Tasche gezogen wird. Für die Allgemeinheit entstehen Schulden, neudeutsch Sondervermögen, keine Überschüsse! Zieht man die Kostenverlagerung auf den Bund von den 79,1 Millionen Euro Überschuss ab, bleiben nur noch 19,5 Millionen übrig.

Doch damit ist das „Kunststück“ der Kämmerin noch nicht vollständig. Denn es gibt noch einen speziellen Posten in der Bilanz. Der taucht zwar nicht in der Pressemitteilung auf, aber in der Bilanz und im Lagebericht. Auffällig ist nämlich, dass sowohl die sonstigen Erträge wie die sonstigen Aufwendungen massiv gestiegen sind. Die Erklärung dafür: „Im Rahmen eines Vergleichs zum Einsturz des Historischen Archivs wurden Schadenersatzzahlungen von insgesamt 600 Mio. € in 2020 vereinnahmt. Denen stehen zwar Rückstellungszuführungen und Aufwendungen gegenüber (als größte Positionen sind dabei die Wiedernutzbarmachung der Archivalien mit 450,4 Mio. € und der Investitionszuschuss zum Neubau des Historischen Archivs über rund 84 Mio. € zu nennen), in Höhe von 38,1 Mio. € wirkte sich der Vergleich aber auch ergebnisverbessernd auf den Jahresabschluss 2020 aus.“ Zieht man auch diesen Einmaleffekt ab, wäre die Bilanz schon negativ.

Schließlich gab es noch einen Sondereffekt, der ebenfalls nicht in der Mitteilung, sondern nur im Lagebericht der Stadt enthalten ist: „Neben diesen großen Sondereffekten ergeben sich viele – in der Summe relevante – Abweichungen durch die Auswirkungen der Pandemie auf das städtische Leben: Beispielhaft seien hier die Einsparungen von Aufwendungen genannt, wie z.B. die Absage von diversen städtischen sowie kulturellen Veranstaltungen (ca. 25 Mio. €), die verzögerte Akquise von Personal (ca. 26 Mio. €) sowie die Verschiebung von Instandhaltungen/Baumaßnahmen aufgrund fehlender Fachkräfte/gestörter Lieferketten (ca. 20 Mio. €)“. Macht zusammen einmalige Einspar-Effekte von 71 Millionen Euro.

Da wirkt es dann schon eigenartig, dass die Stadt in der Pressemitteilung zu diesem Fazit kommt: „Das positive Ergebnis ist somit stark durch die zusätzlichen Hilfen sowie die Isolation nach NKF-CIG geprägt. Trotzdem fällt die Analyse der Zahlen insgesamt ermutigend aus: Bereinigt man das Jahresergebnis um die oben genannten Corona-Folgen und die ungeplante strukturelle Entlastung bei den Kosten der Unterkunft, schlösse der Haushalt immer noch positiv mit +19,5 Millionen Euro.“

Diese Rechnung scheint uns tatsächlich ein Kunststück zu sein. Vor allem, sofern man die Verschuldungssituation der Stadt betrachtet, die sie selbst so darstellt: „Die Verschuldung aus Investitions- und Liquiditätskrediten im Kernhaushalt beträgt per 31.12.2020 2.342,3 Mio. €. Zum Stichtag 31.12.2020 betragen die gesamten Verbindlichkeiten, die neben den Verbindlichkeiten aus Krediten u. a. auch die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen berücksichtigen, 3.246,5 Mio. €. Dies entspricht einer rechnerischen Verschuldung in Höhe von rd. 2.984 € je Einwohner*in.“ Und um das Kunstwerk abzuschließen, sei noch dieser Hinweis erlaubt: „Stichtagsbezogen (31.12.2020, Anm. d. Red.) ergibt sich seit der Eröffnungsbilanz ein saldierter Eigenkapitalverzehr in Höhe von rd. 0,94 Mrd. €.“ Das Eigenkapital betrug zum Zeitpunkt der Eröffnungsbilanz zum 1. Januar 2008 rund 6,4 Milliarden Euro.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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