Dienstag, 14. Februar 2023

Welche Regierung wollen die Nichtwähler in Berlin?

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Die Frage nach der gewünschten Regierung der Nichtwähler mag auf den ersten Blick irrational erscheinen, sie hat aber einen tieferen Grund. Denn wie schon häufiger in der jüngeren Vergangenheit stellen die Nichtwähler auch bei der Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus die größte Gruppe. Stolze 37 Prozent oder exakt 899.608 Wahlberechtigte haben in Berlin nicht gewählt. Zum Vergleich: Die siegestaumelnde CDU brachte es auf 428.100 Zweitstimmen. Von den 278.978 Zweitstimmen der SPD gar nicht zu reden.

Vor diesem Befund wird klar, wie Franziska Giffeys Anspruch, die rechnerische Mehrheit des Bündnisses Rot-Grün-Rot in eine neue Senatsregierung überführen zu wollen, zu verstehen ist. Es ist wie im Fußball. Erklärt dort der Manager eines Vereins, der beste Spieler des Vereins, der von Konkurrenten heftig umworben wird, habe noch einen Vertrag und sei unverkäuflich, dann weiß jeder, diese Aussage dient allein dazu, den Preis für den Abgang nach oben zu schrauben. Dass der Spieler tatsächlich trotz lukrativerer Angebote an seinem Vertrag festhalten werde, glauben nur Idealisten. Und so wird es sicher auch in der SPD Parteimitglieder geben, die ernsthaft daran glauben, Giffey werde alte und neue Regierende Bürgermeisterin in Berlin. Die Realisten werden jedoch erkennen, dass es nur noch darum geht, die Rolle der SPD als Juniorpartner einer CDU-geführten Regierung möglichst zu vergolden, sprich möglichst viele der eigenen politischen Vorstellung im Koalitionsvertrag unterzubringen. Dass die CDU dazu bereit sein wird, dürfte auch klar sein.

Niemand in Berlin kann ein Interesse daran haben, neue Märtyrer zu gebären, weder die CDU, die es schon einmal mit der Bewertung Wahlklau versucht hat, was schon deshalb sehr gefährlich ist, weil in fernerer Zukunft auch in Ostdeutschland wieder gewählt wird. Würde die CDU dann im Falle eines Wahlsiegers AfD auch von Wahlklau sprechen, wenn sie eine Regierung ohne AfD bilden würde? So verständlich es ist, dass die CDU ihren relativ beeindruckenden Erfolg jetzt auskosten möchte, sie sollte hinter verschlossenen Türen immer beachten, unter welchen Bedingungen er zustande gekommen ist und wie dürftig er in absoluten Zahlen ausgefallen ist. So dürfte auch eine erhebliche Wählerwanderung von der FDP zur CDU aus wahltaktischen Gründen stattgefunden haben. Sich von Siegen nicht blenden zu lassen, ist eine der schwierigsten Aufgaben im Sport, will man langfristig erfolgreich sein. Gleiches gilt auch für die Politik.

Die SPD wiederum wird einsehen müssen und dies – so unsere Prognose – am Ende auch tun, dass man als Partei, die gerade einmal 11,4 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten als Zweitstimme erhalten und gerade noch vier Direktmandate gewonnen hat (2016: 28!), nicht ernsthaft einen Regierungsauftrag mathematisch durch Addition sämtlicher Wahlverlierer begründen kann. Schon Gerhard Schröder irrte am Abend der Bundestagswahl 2005, als er Dr. Angela Merkel entgegenschleuderte, seine Partei werde sie nie zur Kanzlerin wählen. Auch hier hilft zur besseren Erkenntnis der Sport: Das Spiel ist aus, wenn der Schiedsrichter abpfeift.

Und Bündnis 90/Die Grünen? Auch die könnten natürlich als Juniorpartner bei Kai Wegner unterschlüpfen. Die Partei hat in ihrer Laufbahn schon ganz andere Kröten geschluckt. Aber irgendwie ist schwer vorstellbar, dass es angesichts der Äußerungen im Berliner Wahlkampf zwischen beiden Parteien eine größere Schnittmenge geben soll als zwischen CDU und SPD. Gerade angesichts des bundesweiten Gegenwindes der Klimaschützer können es sich die Grünen eher nicht leisten, weite Teile der Basis in Berlin auch noch mit Zugeständnissen bei der Verkehrspolitik und der inneren Sicherheit gegen sich aufzubringen. Im Übrigen sollten auch die Grünen sehr genau auf das Ergebnis ihrer Zweitstimmen schauen: 278.873 Stimmen haben Sie gerade einmal eingesammelt. Wer daraus irgendwelche Ansprüche für die Vertretung von 2.431.772 Wahlberechtigten mit Absolutheitsanspruch herleiten will, zeigt ein bedenkliches Maß an Verantwortungslosigkeit. Klar, niemand weiß, wen eigentlich die 889.608 Nichtwähler gewählt hätten, wären sie ihrer demokratischen Pflicht nachgekommen. Aber man liegt wohl nicht ganz falsch anzunehmen, mehrheitlich hätten sie wahrscheinlich eher nicht Bündnis 90/Die Grünen gewählt.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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