Mittwoch, 25. Januar 2023

BVerfG rügt fehlende Begründung für Anhebung der Obergrenze der staatlichen Parteifinanzierung

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Die Anhebung der „absoluten Obergrenze“ für die staatliche Parteienfinanzierung sei verfassungswidrig, hat gestern das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geurteilt. Das ist zunächst einmal ein erfreuliches Ergebnis. Aber es ist weniger erfreulich, als manche flüchtigen Leser vermutet haben werden. Denn so mancher glaubte wohl, das BVerfG habe auch die Höhe der verschobenen Obergrenze als verfassungswidrig beurteilt. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil: Das Gericht hält eine Erhöhung durchaus für möglich. Kritisiert hat es nur die bisherige Begründung dafür.

Im Juli 2018 hatte die damalige Große Koalition mit ihrer Mehrheit die Erhöhung der Obergrenze für die staatliche Parteienfinanzierung von 165 Millionen Euro auf 190 Millionen Euro beschlossen. Begründet wurde dies mit den gestiegenen Kosten der Parteien wegen der Aktivitäten in den sozialen Medien. Dagegen geklagt haben Fraktionsmitglieder der FDP, von Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE. 30 AfD-Abgeordneten hatte erfolglos versucht, sich der Normenkontrollklage anzuschließen. Vertreter der AfD wurden gleichwohl vom Gericht in der mündlichen Verhandlung angehört.

Die Zuweisung staatlicher Mittel, im Klartext von Steuereinnahmen, an Parteien ist doppelt gedeckelt. Einerseits können die Parteien nicht mehr staatliche Mittel erhalten als sie selbst an Einnahmen erzielen. Zum anderen ist der Gesamtbetrag der staatlichen Zuwendung an alle Parteien begrenzt. Nach der alten Regelung betrug der entsprechende Betrag rund 165 Millionen Euro. CDU/CSU und SPD erhöhten ihn 2018 auf 190 Millionen Euro.

Ob bereits das Zustandekommen des Gesetzes formell verfassungswidrig war, was allein die AfD moniert hat (ein von ihr dazu zusätzliches Verfahren wurde als unzulässig abgewiesen), hat der Senat offengelassen, obwohl er selbst erhebliche Zweifel daran äußert.  Der Entwurf des Änderungsgesetzes war am 5. Juni verteilt worden, die zweite und dritte Lesung fand bereits am 15. Juni statt. Dazwischen hatte es am 11. Juni eine Sachverständigenanhörung gegeben. Zum Zeitpunkt der dritten Lesung lag nicht einmal das Protokoll der Anhörung vor. Sachgründe für die besonders beschleunigte Beratung des Entwurfs, stellt das BVerfG fest, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Es erscheine daher nicht von vornherein ausgeschlossen, „dass der Ablauf und die Begrenzung dieser Beratung auf einen Zeitraum von nur zehn Tagen die Verfassungsgebote der gleichberechtigten Teilhabe der Abgeordneten und Fraktionen an der parlamentarischen Willensbildung und der Öffentlichkeit der parlamentarischen Beratung verletzt hat“. Letztlich hat das Gericht die Frage jedoch offen gelassen, weil die getroffene Regelung selbst verfassungswidrig sei. Warum erschließt sich uns nicht. Gegen diese Vorgehensweise hat es immerhin eine Gegenstimme im entscheidenden Zweiten Senat gegeben.

Bei der Gewährung finanzieller Mittel sei der Staat an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien gebunden, stellt das Gericht einleitend fest. Dieser untersage die staatliche Einflussnahme auf die Willensbildung in den Parteien und damit auf den Prozess der politischen Willensbildung insgesamt. In der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes müsse „sich die politische Willensbildung von den Bürgerinnen und Bürgern zu den Staatsorganen vollziehen und nicht umgekehrt“. Die Parteien müssten nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und organisatorisch auf die Zustimmung und Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen bleiben. Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien werde durch die Gewährung finanzieller Zuwendungen verletzt, „wenn die Parteien dadurch der Notwendigkeit enthoben werden, sich um die finanzielle Unterstützung ihrer Aktivitäten durch ihre Mitglieder sowie ihnen nahestehende Bürgerinnen und Bürger zu bemühen, und sie damit Gefahr laufen, ihre gesellschaftliche Verwurzelung zu verlieren“.

Aus dem Grundsatz der Staatsfreiheit der politischen Parteien folge, dass eine Steigerung der Einnahmen nicht ohne Weiteres dazu führen dürfe, den Umfang der Staatsfinanzierung der Parteien weiter anschwellen zu lassen. Der Staat dürfe den Parteien nicht mehr zuwenden, „als sie unter Beachtung des Gebots sparsamer Verwendung öffentlicher Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen“. Die absolute Obergrenze staatlicher Parteienfinanzierung bestimme „sich danach, was zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit sowie zur Erfüllung des Verfassungsauftrags der Parteien unerlässlich ist und von ihnen nicht selbst aufgebracht werden kann“.

Änderten sich die äußeren Rahmenbedingungen für die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes in einschneidender Weise und werde dadurch ein nachhaltiger finanzieller Mehrbedarf begründet, der von den Parteien aus eigenen Mitteln nicht leistbar sei, könne „der Gesetzgeber dem durch die Anhebung des Gesamtvolumens staatlicher Parteienfinanzierung Rechnung tragen“. Eine einschneidende Veränderung der Verhältnisse, die eine Anhebung der absoluten Obergrenze zu rechtfertigen vermögen, liege aber nur vor, wenn im Vergleich zum maßgeblichen Zeitpunkt der letztmaligen Bestimmung der Höhe der absoluten Obergrenze – unter Außerachtlassung von Anpassungen an die allgemeine Preisentwicklung – Umstände eingetreten seien, „die die Parteien in ihrer Gesamtheit betreffen, von außen auf die Parteien einwirken sowie den Bedarf an personellen und sachlichen Ressourcen zur Erfüllung der den Parteien durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG übertragenen Aufgaben nachhaltig in einem deutlich spürbaren und von den Parteien aus eigener Kraft nicht leistbaren Umfang erhöhen“.

Die im Gesetzgebungsverfahren als Grund für die Anhebung der absoluten Obergrenze angeführte „Digitalisierung der Kommunikationswege“ stelle zwar einen Umstand dar, „der die Rahmenbedingungen für die Mitwirkung der Parteien am Prozess der politischen Willensbildung seit Anfang der 1990er Jahre einschneidend verändert hat“. Auch sei davon auszugehen, dass damit ein nachhaltiger, mit den bisherigen Mitteln nicht leistbarer finanzieller Mehrbedarf der Parteien einhergehe. Die Begründung im Gesetzgebungsverfahren sei insoweit dem Grunde nach ausreichend.

Der Gesetzgeber habe nachvollziehbar ausgeführt, im maßgeblichen Zeitraum habe sich eine von außen kommende, das Parteiensystem als Ganzes betreffende und einen erheblichen finanziellen Mehrbedarf begründende Entwicklung hin zur vermehrten Verwendung innerparteilicher Beteiligungsmöglichkeiten (Mitglieder- statt Delegiertenparteitage, Mitgliederbefragungen und -entscheide) gezeigt. Insoweit sei eine Veränderung der politisch-kulturellen Rahmenbedingungen der Parteiarbeit eingetreten.

Der Gesetzgeber habe jedoch nicht dargelegt, dass mit der Anhebung der absoluten Obergrenze gerade der durch die geänderten Verhältnisse verursachte finanzielle Mehrbedarf „angemessen ausgeglichen und zugleich die staatliche Parteienfinanzierung auf das zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Parteiensystems unerlässliche Maß beschränkt wird“, rügt das Gericht.

Weder dem Gesetzentwurf noch den nachfolgenden Gesetzesberatungen seien nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Bestimmung der Höhe des durch die einschneidende Veränderung der Verhältnisse verursachten zusätzlichen Finanzbedarfs der politischen Parteien zu entnehmen. Die Begründung des Gesetzentwurfs verweise lediglich auf die Notwendigkeit „hoher Einstiegs- und Betriebsinvestitionen“. In welcher Größenordnung derartige Investitionen und laufende Kosten anfallen oder zu erwarten seien, bleibe offen. Nichts Anderes gelt für die Ausführungen im Gesetzentwurf zu den innerparteilichen Partizipationsinstrumenten. Der Gesetzgeber habe in der Begründung nur auf „durch Veränderungen der politisch-kulturellen und der rechtlichen Rahmenbedingungen bedingte Kosten“ Bezug genommen. Es fehle an jeglicher Darlegung, welcher Finanzbedarf „aus den genannten Herausforderungen resultiert und in welchem Umfang demgemäß eine Erhöhung der absoluten Obergrenze geboten erscheint“.

Daneben fehle es auch an einer Auseinandersetzung mit den durch die Digitalisierung eröffneten Einsparpotenzialen. Dass diese mit der Digitalisierung sowohl hinsichtlich der innerparteilichen Kommunikation als auch der Verbreitung der Positionen der politischen Parteien in der Öffentlichkeit verbunden seien, liege auf der Hand.

Kommen wir abschließend zurück zum Beginn unsres Beitrags: Dass dieses Urteil die Gier der Parteien nicht hemmen wird, sich die versagten Mittel mit „ordentlicher“ Begründung doch noch zu holen, verdeutlichte bereits unmittelbar nach Verkündung der Entscheidung die Ankündigung des SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert. Er mahnte an, jetzt zügig eine verfassungsgemäße Änderung auf den Weg zu bringen. Dabei kann er erneut auf die Union setzen. Dies verdeutlicht die Pressemitteilung, die CDU und CSU gestern dazu verschickt haben. In ihr heißt es: Es ist heute nicht mehr vorstellbar, dass Parteien auf die Präsenz in Sozialen Medien, auf digitale Beteiligungsformate oder auf die digitale Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern verzichten. Digitale Arbeit ist inzwischen fester Bestandteil unserer Demokratie. Die Parteien brauchen auch in finanzieller Hinsicht ein solides Fundament, um ihre wichtige Aufgabe der Stabilisierung der Demokratie und unseres Gemeinwohls erbringen zu können. Dazu ist eine höhere Parteienfinanzierung unverzichtbar. Der Weg ist nach diesem Urteilsspruch frei, mit einem entsprechend begründeten Gesetz einen neuen Anlauf zu unternehmen. Wir werden daran konstruktiv mitarbeiten.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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