Freitag, 20. Januar 2023

Skandalöse Schätzung der Deutschen Rentenversicherung zur Nachforderung von Künstlersozialabgabe

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Am 1. Januar 1983 trat das Künstlersozialversicherungsgesetz in Kraft. Die Idee an sich, ist ehrenwert. Selbständig künstlerisch Tätigen soll sie Rentenansprüche sichern, indem Auftraggeber künstlerischer Tätigkeiten einen bestimmten Beitragssatz auf die in Rechnung gestellten Aufträge der Künstler zahlen müssen. Über die konkrete Ausgestaltung gibt es fast genauso lange Streit. Meist geht es um die Frage, was eine künstlerische Tätigkeit ist, für die der Auftraggeber Künstlersozialabgabe zahlen muss. Ein anderer häufiger Streitpunkt ist die Berechtigung der Künstlersozialkasse, Umsätze bei Abgabepflichtigen zu schätzen, bei denen es keine oder nach ihrer Auffassung unvollständige Aufzeichnungen über die erteilten künstlerischen Aufträge gibt. Die Berechtigung als solche ist unstreitig. Es gibt allerdings immer wieder Beispiele für völlig überzogene Schätzungen.

Einen wahrhaft denkwürdigen Fall dazu hat aktuell das Landessozialgericht (LSozGNiedersachsen-Bremen publik gemacht. In dem konkreten Fall hatte die Deutsche Rentenversicherung (DRBraunschweig-Hannover aufgrund einer Betriebsprüfung gegenüber einer kleinen Schokoladenmanufaktur einen Nachforderungsbescheid über Beiträge zur Künstlersozialversicherung über rund 4.200 Euro für die Jahre 2016 bis 2020 erlassen. Die DR begründete dies damit, die Manufaktur habe statt der für 2016 angegebenen künstlersozialversicherungspflichtigen Umsätze in Höhe von 1.870 Euro in jedem der fünf Jahre beitragspflichtige Umsätze in Höhe von 19.000 Euro in Auftrag gegeben. Die Gesamtumsätze der Manufaktur betrugen 2017 nur 120.000 Euro. Das Unternehmen hätte demnach nahezu16 Prozent seiner Einnahmen nur für künstlerische Aufträge ausgegeben! Die Manufaktur hatte dagegen vorgetragen, in den maßgeblichen fünf Jahren gerade einmal Aufträge in Höhe von 2.438 Euro abgeschlossen zu haben.

Kurioserweise hatte das erstinstanzliche Sozialgericht das Gesuch der Manufaktur um einstweiligen Rechtsschutz, weil sie ansonsten eine Existenzgefährdung befürchtete, noch abgewiesen. Noch kurioser: Das Sozialgericht hatte sich ausweislich der Entscheidung des Landessozialgerichts dabei auf ein Verfahren bezogen, das gar nicht die Manufaktur selbst, sondern ein von ihr übernommenes Unternehmen betraf!

In unmissverständlichen Worten hat das LSozG dem Skandal nun ein Ende bereitet. Es sei „insbesondere nichts dafür auszumachen, dass die Antragstellerin tatsächlich in den einzelnen Jahren des Nacherhebungszeitraums von 2016 bis 2020 Aufträge an selbständige Künstler im Sinne der erläuterten Vorgaben des § 25 KSVG mit einem jährlichen Entgeltvolumen von 19.000 € erteilt haben könnte, wie dies die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung angenommen hat.“

Das Gericht moniert, die DR habe nicht einmal selbst dokumentiert, was sie zur Klärung des Sachverhalts beigetragen habe. Ebenso fehle jeder Hinweis, welche weiteren Aufträge die Manufaktur an Künstler einteilt haben solle. Die von ihr stattdessen vorgenommene Schätzung habe „in keiner Weise den rechtlichen Anforderungen“ genügt. Schätzungen, belehrt das Gericht die DR, müssten „eine realistische Grundlage haben sowie in sich schlüssig und wirtschaftlich nachvollziehbar sein. Sie sind so exakt vorzunehmen, wie dies bei noch verhältnismäßigem Verwaltungsaufwand möglich ist.“ Geradezu verärgert stellt das Gericht fest: „In der Sache bringt das Vorgehen der DR gar nicht eine Schätzung im herkömmlichen Sinne zum Ausdruck; noch weniger genügt es den vorstehend erläuterten rechtlichen Anforderungen. Es lässt nicht einmal eine gedankliche Ausrichtung an diesen rechtlichen Vorgaben erkennen.“ Sich derartiges als Körperschaft des öffentlichen Rechts sagen lassen zu müssen, ist eigentlich ein Grund an der Qualifikation der beteiligten Mitarbeiter zu zweifeln.

Als wäre dies nicht alles schon Strafe genug für die DR, kommt es aber noch dicker. Denn das LSozG stellt auch noch fest: „Im Ergebnis räumt auch die DR ein, dass der von ihr angeführte ‘Schätzwert’ keinen konkreten Bezug zu dem – nach den erläuterten rechtlichen Vorgaben gerade ausschlaggebenden – realen Lebenssachverhalt bei den jeweils in Betracht kommenden Abgabenschuldnern aufweist. Sie räumt selbst ein, dass ihre sog. >>Schätzung<< nicht differenziert habe. Ihr Hinweis auf dafür maßgebliche >>Gründe der Vereinfachung<< bringt inhaltlich letztlich nur zum Ausdruck, dass sich die DR sehenden Auges über die erläuterten rechtsstaatlichen Vorgaben hinweggesetzt hat.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (1)

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#1 Leserkommentar
von Puttins, 08.02.2023 17:32

<p>Da wird mutmaßlich via fuzzy logic skaliert...<br /> Ich habe auf jeder meiner Rechnungen stets die mögliche "staatliche Nacherhebung" deklariert...</p>

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