Donnerstag, 19. Januar 2023

Die politische Diskussion in Deutschland braucht einen Neubeginn

Blogeintrag | Kommentare (2)

Parteipolitik zeichnet sich seit jeher dadurch aus, vergleichsweise einfachen Reflexen zu folgen. Das Grundprinzip beruht auf einem einfachen Prinzip: Der politische Gegner liegt grundsätzlich falsch, die eigenen Ideen sind haushoch überlegen. Und selbstverständlich geschieht alles nur zum Wohle der Bevölkerung, die diese Intention, soweit sie anderer Meinung ist, nur nicht verstanden hat. Warum also jetzt die Forderung nach einem Neubeginn zwecks Änderung dieses reflexhaften, in Teilen logischen Verhaltens? Weil inzwischen ein Punkt erreicht ist, an dem sich die Akteure zulasten der Bevölkerung nur noch gegenseitig behindern und ein staunendes Publikum zurücklassen, das sich zunehmend abwendet. Beispiele gefällig? Hier sind drei wahllos ausgewählte:

Gestern haben Friedrich Merz und der Spitzenkandidat der CDU bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, Kai Wegner, den Wahlendspurt der CDU für diese Wahl eingeläutet. Merz sprach dabei davon, Wegner solle Regierender Bürgermeister in der „wunderschönen Stadt Berlin“ werden. Wegner versprach, die CDU wolle „Berlin nicht schlechtreden. Berlin ist eine wunderbare Stadt.“ Begleitet wird dies durch den Wahlslogan: „Berlin feiern. Senat feuern.“ Selbst Zeitgenossen mit Kurzzeitgedächtnis wird auffallen, dass diese Bekundungen einen gewissen Widerspruch zu Aussagen führender Vertreter von CDU und CSU nach den Silvesterkrawallen enthalten. Klar, wie überzeugend wäre es, zu einer Wahl mit dem Bekenntnis anzutreten, man selbst könne die Verhältnisse auch nicht schlagartig ändern und die Stadt sei unrettbar heruntergewirtschaftet? Letzteres hat allerdings der bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder vor kurzem noch hoch auf der Zugspitze sinngemäß geäußert.

Will die CDU ernsthaft suggerieren, in einem Senat unter ihrer Führung, dem voraussichtlich außer ihr mindestens noch zwei Parteien angehören werden, die teilweise diametrale Vorstellungen haben, werde es anschließend keine Ausschreitungen mehr in Berlin geben? Würden „Paschas“ und deren Eltern zurechtgewiesen und Menschen mit nicht deutschen Vornamen sofort ausgewiesen? Wie glaubwürdig ist das denn? Und die Berliner SPD? Deren letzter bei Wahlen halbwegs erfolgreicher Regierender Bürgermeister war für ein Milliardendesaster am Berliner Flughafen verantwortlich und hat den Satz geprägt, „Berlin ist arm, aber sexy“. Beides ist heute relativ. Jedenfalls liegt die Partei aktuell bei Umfragen deutlich hinter der CDU und kämpft gegen Bündnis 90/Die Grünen um Platz zwei. Sicher, Umfragewerte sind kein Wahlergebnis. Allerdings jetzt so zu tun, was die Berliner Parteispitze, allen voran der Fraktionsvorsitzende der SPD, Raed Saleh, praktiziert, als werde Franziska Giffey selbstverständlich gewählt, ist reichlich abgehoben. Zumal Giffey mit Aussagen Stimmung für sich macht, die der SPD-Parteilinie in Berlin teilweise widersprechen.

Nächstes Beispiel: Personalien. Quälend lange hat Bundeskanzler Olaf Scholz gebrauchtChristine Lambrecht aus dem Amt zu entfernen, in das er sie besser nie berufen hätte. So weit, so schlecht, und auch von der politischen Konkurrenz durchaus zu kritisieren. Nur, wie glaubwürdig ist die Kritik an der Nachfolgeregelung (Boris Pistorius), wenn sie schlicht reflexhaft ausgeführt wird? Allen voran beherrscht dies Markus Söder am besten. Scholz habe damit „die Parität in der Ampel abgehakt‘“, ließ er die Öffentlichkeit wissen. Gegenfrage: Was hätte er wohl gesagt, hätte Scholz eine Frau berufen? Wir wetten, er hätte kritisiert, wieder sei das Geschlecht über die Qualifikation gestellt worden. Wen sollen derartige Statements, die so vorhersehbar sind, eigentlich überzeugen? Die schon überzeugten Anhänger? Als ernsthafter politischer Dialog kann dies wohl kaum durchgehen.

Doch am ärgerlichsten ist die von allen praktizierte Methode, in der Opposition falsch zu finden, was man in der Regierung dann selbst praktiziert. Musterbeispiel dafür ist die jeweilige Haushaltspolitik. Die FDP fand berechtigterweise den von der Großen Koalition eingeschlagenen Weg der Sondervermögen zur Umgehung der Schuldenbremse sehr kritikwürdig. Als Teil der Ampel, deren Finanzminister der Parteivorsitzende der FDP ist, praktiziert sie dies nun allerdings in noch größerem Umfang. In Nordrhein-Westfalen wiederum behalten sich FDP und SPD eine Klage gegen das von der CDU (!) und den Grünen eingerichtete Sondervermögen vor dem dortigen Verfassungsgerichtshof vor. In Hessen haben beide Parteien sogar erfolgreich gegen das dort ebenfalls von Schwarz/Grün gebildete Sondervermögen vor dem hessischen Staatsgerichtshof geklagt.

Mit am lautesten protestiert in NRW ausgerechnet der SPD-Landesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende Thomas Kutschaty gegen diesen Haushaltsverstoß. Gerade so, als habe dies Olaf Scholz nicht als Bundesfinanzminister und jetzt als Bundeskanzler zur neuen Wunderwaffe erklärt! Es mag für jede Opposition schwierig sein, auf Kritik zu verzichten, weil Kritik letztlich das einzige erfolgversprechende Mittel ist, um Öffentlichkeitswirkung zu erzielen. Wer wüsste das besser als beispielsweise ‘Fridays for Future’ oder ‘Die letzte Generation’. Aber sofern sie derart beliebig daherkommt, ist sie schlicht unglaubwürdig.

Allen Beteiligten sollte jedoch klar sein, dieser politische Stil wird am Ende nur dazu führen, dass sich immer weitere Teile des Wahlvolkes bei Wahlen abwenden werden. Mit einiger Spannung darf man erwarten, wie hoch wohl die Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ausfallen wird. Mehr als 70 Prozent dürften kaum zur Wahl schreiten. Wer immer mit den meisten Stimmen durchs Ziel gehen wird, dürfte kaum deutlich mehr als 25 Prozent der Stimmen erhalten. Macht dann 17,5 Prozent der Wahlberechtigten. Nur noch mal zur Erinnerung: Bei der letzten Bundestagswahl gab es 23,4 Prozent Nichtwähler. Allein die SPD erhielt mit 25,7 Prozent mehr Stimmen. Daher wiederholen wir hier gerne ein oft genutztes Zitat Georg Christoph Lichtenbergs„Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (2)

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#1 Leserkommentar
von Eugen Schlachter, 19.01.2023 13:31

<p>Die Debatten um das Verteidigungsministerium, die aktuell und zukünftig Regierenden in Berlin (Zustand der Hauptstadt?), und der Haushaltsbetrug durch Sondervermögen werfen bei mir immer wieder Fragen nach den Kompetenzen des politischen Führungspersonals auf. Angefangen beim Kanzler.<br /> Wo stehen wir? Deutschland rutschte in den letzten Jahren im internationalen Ranking ökonomisch, ökologisch, praktisch in den meisten Politikfeldern, kontinuierlich nach unten.<br /> Meine dringende Empfehlung wäre es, die Politik möge ihren Blick auf dieses Land mit seinen bald 84 Mio. Menschen richten. Weg von diesem Parteitagsgeschwafel und bitte auch schnell weg mit dem OberlehrerInnengehabe der Kabinettsmitglieder und Parlamentarier, die oft leider nicht merken, dass Wirtschaft und Gesellschaft schon mehrere Schritte weiter sind als sie.<br /> <br /> Wir brauchen in der Politik wieder mehr Qualität. An Kabinettstischen müssen Spitzenleute sitzen und für ihr Ressort (Fach-) Kompetenzen mitbringen. Dies in Abrede zu stellen ist leider in unserem Lande typisch für Parteien (insbesondere bei SPD und Grünen). Man verlässt sich als MinisterIn (hat keine andere Wahl - muss sich darauf verlassen) auf sogenannte qualifizierte MitarbeiterInnen in den Ministerien. Wobei, dann ernten wir das, was unser Land in allen Bereichen lähmt – aufgeblähte Apparate (mit vielen ParteifreundInnen) und bürokratische Überfrachtung.<br /> <br /> Verwaltungen mit ihren Bürokratien regeln das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Doch dieser Staat kümmert sich mit seinen Bürokratien augenscheinlich vermehrt um sich selbst als um die Belange seiner BürgerInnen. Da passt einiges nicht mehr zusammen und viele Menschen zweifeln verstärkt an den Fähigkeiten ihres Staatsapparates. Mit Verlaub – da brodelt ein Brandherd, an dem sich die Parteien aus dem linken und vor allem dem rechten Rand befeuern. Können wir das wirklich wollen?</p>
#2 Leserkommentar
von Olaf Weber, 20.01.2023 11:56

<p>Danke für Ihren Kommentar, sehr geehrter Herr Schlachter. Ich fürchte inzwischen, dass der Verfall Deutschlands kein Zufall mehr ist. Zu dieser Antwort komme ich, seit ich begriffen habe, dass es in der Politik nirgendwo mehr ernsthaft um die Frage geht, wie man dazu beitragen kann, den Wohlstand der Bürger zu mehren, sondern darum, so viele Parteigänger und Wähler wie möglich in der Sozialstaatsindustrie, den inzwischen unzähligen parteinahen NGOs oder direkt in staatlichen Stellen unterzubringen.<br /> <br /> Fast nirgendwo geht es dabei leider um Qualität, sondern um Treue und Lagerdenken. Dass es diese vielen Möglichkeiten überhaupt gibt, ist Ausfluss eines politisch eher revolutionären und langfristig demokratiezerstörenden Ansatzes, nicht mehr das 'dumme' und durch Bürokratie ggf. bewusst überforderte Volk als Souverän anzusehen, sondern anzustreben, den Staat zur neuen 'Mutti' zu transformieren, die sich rührend und paternalistisch (z.B. im Hinblick auf Gesundheit oder Klimafolgen) um den Bürger kümmert, von der Wiege bis zur Bahre.<br /> <br /> Es scheint auch nicht mehr Ziel heutiger Politik zu sein, die Freiheit des Individuums (und damit auch das Unternehmertum) in den Mittelpunkt zu stellen oder gar zu fördern, sondern, ganz im Gegenteil, Freiheit (und damit Unternehmertum) als kollektivistisch rechenschaftspflichtig anzusehen, den Erhalt von Freiheit an immer mehr Bedingungen zu knüpfen.<br /> <br /> Auch ich bin insofern sehr gespannt, welche Auswirkungen diese Entwicklung hat, gerade im Hinblick auf unsere Parteienlandschaft. Für freiheitlich gesonnene Geister, auch besonders des Mittelstands, ist es jedenfalls eine Katastrophe, dass fast alle Parteien auf die wunderbaren Möglichkeiten setzen, die ein immer größerer Staat inkl. gut versorgtem Dunstkreis bietet.<br /> <br /> Herzlichen Gruß, Olaf Weber</p>

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