Donnerstag, 15. Dezember 2022

IHK zu Essen muss Beiträge wegen rechtswidriger Vermögensbildung zurückzahlen

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Unzählige Male haben wir in den letzten Jahren über die rechtswidrige Praxis zahlreicher Industrie- und Handelskammern (IHK) berichtet, zulasten der Beitrag zahlenden Pflichtmitglieder Vermögen zu bilden (zuletzt über die IHK Köln, zuvor über die IHK Pfalz). Geändert hat dies leider wenig, auch weil die Rechtsaufsicht permanent wegschaut. Auch die zahlreichen Jahresberichte, in denen der Bundesverband für freie Kammern (bffk) dies moniert (siehe zuletzt hier), haben das Problem nicht aus der Welt schaffen können. Der Gesetzgeber verweigert sich konsequent einer Änderung der Zustände.

Zwar haben inzwischen einige Kammern tatsächlich entsprechende Vermögensrücklagen aufgelöst und die Beiträge für die Mitglieder gesenkt, aber es ist unverändert noch viel Luft nach oben vorhanden. Und so bleibt den Pflichtmitgliedern nichts anderes übrig, als ihre Beitragsbescheide gerichtlich anzugreifen, sofern ihre Kammer unzulässiges Vermögen gebildet hat.

Dass diese Prozesse meist mit Urteilen zugunsten der Mitglieder enden, zeigen die zahlreichen Beiträge, die wir im Laufe der Jahre seit 2014 (!) zu entsprechenden Verfahren veröffentlicht haben. Aktuell möchten wir Ihnen wieder Mut machen, Beitragsbescheide ihrer Kammer nicht einfach als gottgegeben hinzunehmen. Anlass dafür bietet ein Urteil des Verwaltungsgerichts (VGGelsenkirchen. Das hatte über einen Beitragsbescheid der IHK zu Essen zu urteilen. Der vom bffk unterstützte Kläger wandte sich gegen einen Beitragsbescheid, der das Wirtschaftsjahr 2020 betrifft.

Der Wirtschaftsplan der Kammer sah eine Ausgleichsrücklage/Risikovorsorge, eine Zinsausgleichsrücklage und eine Digitalisierungsrücklage, die zusammen mit 5,05 Millionen Euro dotiert wurden. Der Kläger hält die Dotierung aller drei Rücklagen für rechtswidrig. Obwohl die Kammern, wie auch das VG Gelsenkirchen bestätigt, rechtlich hinsichtlich der Aufstellung des Wirtschaftsplans „einen weiten Gestaltungsspielraum“ haben, fiel die Entscheidung des Gerichts vorhersehbar deutlich aus. Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) bedeute das Verbot der Vermögensbildung nicht, dass Kammern keine Rücklagen bilden dürften. Sie müssten aber „an einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammerarbeit“ gebunden sein und ihre Höhe „von diesem sachlichen Zweck gedeckt sein“.

Zudem hätten die Kammern das „Gebot der Jährlichkeit“ zu beachten. Dies bedeute, nicht nur über den Vorhalt bzw. die Beibehaltung einer Rücklage sowie deren Höhe jedes Jahr erneut zu entscheiden, sondern auch im Wirtschaftsplan nur den im jeweiligen Wirtschaftsjahr, und nicht den in den Folgejahren anstehenden Bedarf zu prognostizieren.  Dabei schreibt das Gericht der Kammer auch gleich noch die Unzulässigkeit einer beliebten Ausrede ins Stammbuch: „Maßgeblich ist deshalb, ob die Vollversammlung der Kammer diesen Gestaltungsspielraum rechtsfehlerfrei ausgefüllt hat, nicht hingegen, ob sie hypothetisch einen Plan mit gleichem Inhalt rechtsfehlerfrei hätte beschließen können, weil der Mittelbedarf im Wirtschaftsplan im Ergebnis vertretbar in Ansatz gebracht ist“.

Unter Beachtung dieser Grundsätze seien sowohl die Dotierung der Ausgleichsrücklage als auch der Digitalisierungsrücklage rechtswidrig. Pikant: Zur Verteidigung der gebildeten Ausgleichsrücklagen hatte die IHK sich explizit auf das vom DIHK den Kammern zur Verfügung gestellte Risiko-Tool berufen. Das Gericht kontert diesen Hinweis kurz und knapp: „Der bloße Verweis auf die Anwendung des sogenannten Risiko-Tools des DIHK genügt zum Nachweis einer solchen Prognose nicht. Die Anwendung des Risiko-Tools betrifft nur die Wahl der Prognosemethode.“ Sei die Risikoprognose fehlerhaft, nutze auch das Tool nichts.

Wie sehr die IHK gegen die rechtlichen Anforderungen verstoßen hat, macht folgende Feststellung des VG klar: „Hinsichtlich des hiernach allein in den Blick genommenen Risikos von Vorauszahlungsausfällen bzw. entsprechenden Schwankungen lässt die aus der besagten Tabelle hervorgehende Berechnung ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe Prognosen vermissen.“ Für die Digitalisierungsrücklage fällt das Votum noch vernichtender aus: „Es fehlt jeder Anhalt für eine Prognose, die einen Bedarf für eine Digitalisierungsrücklage in Höhe von 1.082.062 Euro oder auch nur in Höhe von 643.000 Euro auch nur ansatzweise darlegt.“

Das Urteil wurde am 18. November verkündet. Am 15. November hat die IHK zu Essen mitgeteilt, sie habe den „niedrigsten Umlagehebesatz in 182-jähriger Geschichte“ verabschiedet. Konkret wurde er von 0,22 auf 0,18 Prozent gesenkt. Davon sollte sich niemand im Kammerbezirk blenden lassen. Denn der bffk weist darauf hin, dass die vom Gericht bemängelten Missstände auch in den Wirtschaftsplänen der Jahre 2021 und 2022 aufzufinden sind. So kann es für IHK-Mitglieder im Bezirk Essen nur lauten: Wer klagt, gewinnt.

Kai Boeddinghaus, Bundesgeschäftsführer des bffk, kommentiert das Verhalten der Kammern so: "Viele Kammern haben aus der Rechtsprechung immer noch nichts gelernt. Mit der Rückendeckung einer tatenlosen Politik werden die Mitglieder weiter geschröpft. Der Druck führt zu Beitragssenkungen, ja. Der Druck führt zu einer Verminderung der rechtswidrigen Vermögensbildung, ja. Aber von wirklicher Einsicht kann keine Rede sein."


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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