Mittwoch, 14. Dezember 2022

Bürokratie wächst allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz weiter rasant an

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Am 1. Dezember kritisierte die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) massiv die unverändert anhaltende Überbürokratisierung trotz des von der Bundesregierung am 29. September versprochenen ‘Belastungsmoratorium’ für die Wirtschaft. Dies bleibe „ein leeres Versprechen“, monierte die MIT, und verweist dabei auf eine aktuelle Überprüfung, die sie gemeinsam mit etwa 30 Wirtschaftsverbänden erhoben hatDabei seien alle aktuellen Vorhaben der EU und der Bundesregierung auf ihr Belastungspotenzial für die Wirtschaft hin überprüft und schädigende Gesetze und Initiativen zusammengetragen worden. Auf diese Weise seien zwei „Giftlisten“ zustande gekommen: „Die für die EU umfasst 76 belastenden Vorhaben, die allein in diesem Jahr in Brüssel beschlossen oder angekündigt wurden. Auf bundesdeutscher Ebene wurden 34 entsprechende Vorhaben gezählt.“

Wer diese Bewertung als lobbyistische Übertreibung abgetan hat, dem empfehlen wir die Lektüre des Jahresberichts des Normenkontrollrates (NKR), der den Zeitraum Juli 2021 bis Juni 2022 umfasst. Der laufende Erfüllungsaufwand, d.h. der Zeitaufwand und die Kosten, die neue Gesetze Jahr für Jahr verursachen, ist danach im Berichtszeitraum um rund 6,7 Milliarden Euro auf insgesamt rund 17,4 Milliarden Euro gestiegen. Er falle damit deutlich höher aus als in den vergangenen Jahren, heißt es dort. Dieser Anstieg sei mit 5,6 Milliarden Euro zu 90 Prozent auf die Erhöhung des Mindestlohns zurückzuführen. Lutz Goebel, der Vorsitzende des NKR, betont jedoch: „Selbst, wenn wir den Mindestlohn ausblenden, dem ja auch ein ganz konkreter Nutzen gegenübersteht, zeigt sich ein negativer Trend beim Erfüllungsaufwand. Dabei müssen Wirtschaft, Verwaltung und Bürger gerade in Krisenzeiten von unnötiger Bürokratie ent- statt belastet werden. Es ist an der Zeit, mit neuem Elan und kreativen Ideen auf einen Neustart beim Bürokratieabbau hinzuarbeiten.“

Woraus sich der enorme Erfüllungsaufwand bei der gesetzlichen Erhöhung des Mindestlohnes ergibt, erläutert der NKR damit, dies entspreche den Lohndifferenzkosten zum vorherigen Mindestlohn. Das Arbeits- und Sozialministerium habe die Lohndifferenzkosten im Gesetzentwurf als „Weitere Kosten“ dargestellt. Dieses Vorgehen entspreche jedoch nicht der Methodik zur Ermittlung und Darstellung des Erfüllungsaufwands, moniert der NKR: „Der Erfüllungsaufwand umfasst gem. § 2 Absatz 1 NKRG den gesamten messbaren Zeitaufwand und die Kosten, die durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift bei Bürgerinnen und Bürgern, der Wirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung entstehen“. Mindestlohnerhöhungen seien nur dann als „Weitere Kosten“ auszuweisen, wenn sie auf einen Beschluss der unabhängigen Mindestlohnkommission zurückgingen.

Als Lichtblick bewertet der NKR die Einführung des Digitalchecks. Demnach müssen alle Bundesministerien ab Januar 2023 ihre Gesetzentwürfe digitaltauglich gestalten. Der NKR prüft dann, ob und inwiefern, Vollzugs- und Digitalisierungsfragen in der Gesetzgebung von vornherein mitgedacht wurden. Für Goebel ist und bleibt die Digitalisierung der wesentliche Schlüssel für den Abbau von Bürokratie. Viele Digitalisierungshürden steckten schon im Gesetzestext. Nur Regeln, die mit Vollzugsexperten besprochen würden und praxisnah gestaltet seien, könnten einfach umgesetzt werden. „Unser Ziel“, so Goebel, „muss es sein, dass Unterschriften und persönliche Gänge zum Amt vollständig gestrichen und Papiernachweise durch Datenaustausche ersetzt werden“.

Da können wir ihm nur zustimmen, aber wir teilen nicht ganz seinen Optimismus, dass sich hier schnelle Fortschritte zeigen werden. Allzu oft schon wurden in der Vergangenheit tolle Versprechungen abgegeben, was beispielsweise alles mit dem maschinenlesbaren Personalausweis erledigt werden können soll. Fangfrage: Wer hat entsprechende positive Erfahrungen mit dem bisherigen Angebot gemacht? Letztlich belegen das auch die Zahlen des NKR. Denn der stellt fest, auch fünf Jahre nach Verabschiedung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) seien gerade einmal 33 von 575 Verwaltungsleistungen flächendeckend online verfügbar. Ursachen dieses Missverhältnisses sind laut NRK komplizierte Koordinierungsstrukturen, fehlende Standardisierung und mangelnde Verbindlichkeit im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen. Der NKR fordert daher ein OZG-Nachfolgegesetz, „für das alle Beteiligten an einen Tisch gebracht werden müssen“.

Als einen Schwachpunkt hat der NKR ausgemacht, wie Gesetze zustande kommen. „Viel zu oft werden neue Regelungen im Eilverfahren verabschiedet“, so Goebel, „ohne das wertvolle Praxiswissen von Betroffenen ausreichend einzubeziehen – und das auch jenseits zeitkritischer Krisengesetzgebung. Abstimmungs- und Beteiligungsfristen werden immer knapper, sodass eine seriöse und verantwortbare Prüfung der Gesetzesentwürfe kaum mehr möglich ist. Das muss sich ändern.“

Wer schließlich Anschauungsunterricht benötigt, woran es liegen könnte, dass die Entbürokratisierung nicht wie gewollt voranschreitet, dem empfehlen wir die Ansicht die Übersicht auf den Seiten 34 und 35 des Jahresberichts zu den „Umsetzungsstrukturen des NKR“. Im Vorwort des Jahresberichts legt Goebel zudem den Finger in eine besondere Wunde: „Während alle Kraft für die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren zum Stemmen der Energiewende und zur Abkehr von russischen Energielieferungen gebraucht wird, ist Deutschland flächendeckend mit der komplizierten Neuberechnung der Grundsteuer beschäftigt – eine bürokratische Belastung, die absehbar war und die vor allem vermeidbar gewesen wäre.“ Wir sind unverändert gespannt, wie es mit der Grundsteuerfestsetzung nach dem derzeitigen Fristende, dem 31. Januar 2023, weitergeht. Wir glauben noch nicht daran, dass dann tatsächlich die große Masse der Bevölkerung ihrer Erklärungspflicht nachgekommen ist.

Die MIT-Bundesvorsitzende Gitta Connemann schlägt amtsbedingt deutlich härter Töne als der NKR an, worauf es beim Bürokratieabbau ankommt. Connemann fordert: „Ampel und EU-Kommission müssen sofort alle Regulierungen, die Unternehmen zusätzlich belasten, stoppen. Die Giftlisten der Belastungen müssen wieder in den Giftschrank. Deutschland steht in einer Zeitenwende. Das bedeutet: volle Konzentration auf die Rettung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (1)

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#1 Leserkommentar
von hundehalsband, 01.01.2023 13:08

<p>man könnte sicher einiges Digitalisieren und einfach halten.<br /> Seit beginn Corona, habe ich das Gefühl das die Bürokratie nur noch schleppend voran geht.<br /> Aus den eigenen Kreisen weiß ich, dass gerne das Home-Office Arbeiten gerne für anderen bzw. private Tätigkeiten genutzt wird.<br /> Ich finde es eine Unverschämtheit auf Anträge länger warten zu müssen, nur weil einige "wenige" die Chance zum "weniger arbeiten" sehen.<br /> <br /> LG<br /> Lia</p>

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