Dienstag, 29. November 2022

EU-Taxonomie gefährdet Mittelstandsfinanzierung

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Bereits im Oktober 2020 hatten wir in unserer Mittelstandsausgabe gefragt, ob Ihnen zukünftig ein Finanzierungsengpass wegen Nachhaltigkeitsrisiken Ihres Unternehmens drohe. Anlass dafür war eine gemeinsame Veranstaltung der IHK für München und Oberbayern und des ifo Instituts/München zum Thema ‘Sustainable Finance als Herausforderung für Mittelstandsfinanzierungen’. Seinerzeit hatten wir darauf hingewiesen, das Thema besitze trotz seines eher spröden Titels erhebliche Relevanz für mittelständische Unternehmen, gerade auch für kleinere. Im Fokus der Betrachtung stand damals die Einführung der Nachhaltigkeitskriterien in die Finanzmarktregulierung.

Das Thema und die Regulierung sind weiter vorangeschritten. Berichtspflichtig sind alle Unternehmen, nicht nur Kreditinstitute, ab einer bestimmten Größe. Ab 2026 sollen nach den bisherigen Plänen der EU-Kommission alle „kapitalmarktorientierten Unternehmen“ mit Ausnahme der Kleinstunternehmen berichtspflichtig werden. Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Mittelstandsforschung (IfM Bonn) im Auftrag der regionalen Sparkassen und Volksbanken in Siegen-Wittgenstein und Olpe sowie der IHK Siegen hat eine Studie mit dem Titel ‘Die Förderung nachhaltiger Finanzierung durch die EU – Auswirkungen auf den Mittelstand ’durchgeführt. Die Ergebnisse haben die Bonner Forscher aktuell vorgelegt.

Wir können Ihnen nur unverändert raten, sich mit dem Thema zu beschäftigen, auch wenn Sie aufgrund der Größe Ihres Unternehmens  (noch) nicht berichtspflichtig sind. Durch die Hintertür der Finanzierung ihres Unternehmens durch die Finanzwirtschaft oder aufgrund Anfragen Ihrer Lieferanten sollten Sie wissen, womit Sie beschäftigen müssen. Die Forscher stellen fest, viele KMU (Kleine und mittlere Unternehmen) müssten bereits heute Verbrauchsdaten für Großkunden bereitstellen. Dies gelt besonders für Industrieunternehmen. Die EU-Regulierung werde zu einer Ausweitung dieser Informationsbedarfe führen, da berichtspflichtige Unternehmen die Nachhaltigkeit ihrer Lieferkette sowie Banken und Sparkassen die Nachhaltigkeit ihres Kreditportfolios aufzeigen müssen. Die Unternehmen rechneten zwar bereits mit vermehrtem Informationsbedarf in der Lieferkette. Den erhöhten Informationsbedarf der Finanzierungspartner sähen sie dagegen noch nicht.

Die Auswirkungen der Regulierung auf die KMU-Finanzierung ließen sich aktuell schwer abschätzen. Sie hinge stark davon ab, wie Banken in Zukunft ESG-Kriterien (Environment, Social und Governance) bei der Kreditvergabe konkret berücksichtigen würden. Erschwert werde die Kreditfinanzierung „durch einen Webfehler der Taxonomieregulierung: So wirken sich Kredite an KMU derzeit grundsätzlich negativ auf die Nachhaltigkeitsbilanz einer Bank aus“. Dieser Fehler müsse zeitnah beseitigt werden. Andernfalls drohten Kredithürden für KMU und Probleme für KMU-finanzierende Banken.

Die von der EU gewünschte Transformation der Wirtschaft hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft solle erreicht werden, indem „sowohl öffentliche als auch private Kapitalströme in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten gelenkt werden“. Dazu wiederum benötigen Investoren „verlässliche Informationen über die Nachhaltigkeit der verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten“. Um eine solche Transparenz zu erreichen, verfolgt die EU-Kommission drei miteinander verbundene Ansätze: „Die EU-Taxonomie legt fest, unter welchen Bedingungen eine wirtschaftliche Aktivität als nachhaltig gilt. Ziel ist es, das sogenannte Greenwashing im Rahmen der Berichtserstattung zu nachhaltigen wirtschaftlichen Aktivitäten zu unterbinden und die Angaben hierüber vergleichbarer zu machen. Zweitens werden die Pflichten großer Unternehmen zur nicht-finanziellen Berichterstattung im Hinblick auf ESG-Kriterien ausgeweitet. Drittens verpflichtet die EU-Kommission Finanzdienstleister zur Nutzung der Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen, um den Grad der Nachhaltigkeit ihres Anlageportfolios zu berechnen und zu veröffentlichen.“

Die Berichtspflichten betreffen derzeit nur Großunternehmen, aber sie werden in den kommenden Jahren ausgeweitet. Zudem sind auch jetzt schon kleinere Unternehmen davon betroffen, weil deren Banken die Informationen benötigen, um die eigene Berichtspflicht zu erfüllen. Denn die Banken sind verpflichtet, „über die Taxonomiefähigkeit bzw. -konformität ihres Portfolios in Form der ‘green asset ratio’ (GAR) und der ‘banking book taxonomy alignment ratio’ (BTAR) zu berichten. Die dafür notwendigen Informationen müssen sie von ihren Unternehmenskunden in den Kreditverhandlungen einholen. Für Kredite, die an KMU vergeben werden, ist bei der Berechnung der GAR eine >>Schonfrist<< angedacht. Informationen über die Taxonomiekonformität von Unternehmen, die nicht unter die Berichtspflicht fallen, dürfen erst ab 2025 in die Berechnung der GAR aufgenommen werden.

Allerdings ist es den Banken nicht verboten, auch jetzt schon Angaben ihre Kunden einzufordern, die noch keiner Berichtspflicht unterliegen. Einige werden dies wohl tun. Erst recht, weil, worauf die Forscher hinweisen, nach der derzeitigen Regelung die Schonfristregelung „taxonomiekonforme Kredite an KMU nicht im Zähler der GAR berücksichtigt werden. Damit werden Kredite an KMU pauschal als >>nicht taxonomiekonform<<  gezählt. Dies hat zwei Effekte: Erstens haben Banken mit einem relativ hohen Anteil von Unternehmenskrediten an KMU eine niedrigere GAR als Kreditinstitute mit einem geringeren Anteil. Dies wird zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen Banken führen, wenn sich Banken mit geringem Anteil an KMU im Unternehmenskreditportfolio als ‘grüner’ darstellen können als die Banken mit hohem KMU-Anteil.“

Eine zweite Folge der Pauschalisierung ist, dass jeder Kredit an ein KMU die GAR einer Bank reduziert – völlig unabhängig davon, ob er nachhaltigen Zielen dient oder nicht. Es könnte daher für Banken, die sich am Kapitalmarkt refinanzieren müssen, so vermutet das IfM Bonn, „von Interesse sein, die Kreditvergabe an KMU allgemein zu verringern“. Der Versuch, die KMU durch eine zeitweise Pauschalisierung bei der GAR zu schonen, befürchten die Forscher, „könnte sich damit de facto zu einer Kredithürde für KMU entwickeln. Aufgrund der hohen Bedeutung der Kreditfinanzierung unterminiert dieser Designfehler in der GAR die eigentliche Absicht der EU-Kommission, den Unternehmen finanzielle Mittel zur Nachhaltigkeitstransition zur Verfügung zu stellen.“

Insgesamt haben sich 199 Unternehmen der IHK Siegen an der Onlineumfrage im Rahmen der Untersuchung des IfM Bonn beteiligt. 87 Prozent davon sind KMU (davon 30 Prozent Kleinstunternehmen), 20 Prozent sind Handelsunternehmen. Einem Großteil waren die EU-Regulierung und deren Auswirkungen auf die Finanzierung nicht bewusst. Gleichzeitig vermuten mehr als doppelt so viele Unternehmen eine originäre Berichtspflicht für das eigene Unternehmen, als tatsächlich betroffen sind.

Dagegen ist die indirekte Berichtspflicht über Auskunftsverlangen anderer Unternehmen bereits für etliche Unternehmen Realität: „Rund 85 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, Großunternehmen – und damit potenziell Berichtspflichtige – unter ihren Kunden und/oder Zulieferern zu haben. Bei einem Drittel von ihnen hatten Kunden bereits entsprechende Informationen abgefragt oder eine solche Abfrage angekündigt.“ Über die Hälfte der Befragten nimmt an, dass sich die Auskunftsverlangen in den kommenden zwei Jahren erhöhen werden. Allerdings erwarten nur 17 Prozent solche Anfragen von Kreditinstituten. Entsprechend befragt von der Kreditwirtschaft wurden bisher erst knapp sieben Prozent.

Nur eine Minderheit der Unternehmen rechnet mit steigenden Kreditkosten oder steigendem Kreditaufwand. Jedoch herrsche „diesbezüglich auch eine größere Unsicherheit bei den Unternehmen: Ein Drittel bzw. ein Viertel der Unternehmen sind sich über die Auswirkungen zunehmender Nachhaltigkeitsregulierungen auf die Kreditkosten und den Aufwand, Kredite zu erhalten, nicht sicher.“

Wir empfehlen Ihnen, sich die Studie möglichst vollständig durchzulesen, soweit Sie sich bisher noch nicht mit der Thematik beschäftigt haben. Sie gibt einen guten Einstieg, worum es bei der EU-Taxonomie und deren Regelungen geht und was da auf Sie zukommt.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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