Mittwoch, 23. November 2022

Bundesverwaltungsgericht: Team Vorsicht in Bayern agierte zu Beginn der Corona-Pandemie rechtswidrig

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Dr. Markus Söder, der selbsternannte Vorsitzende des Teams Vorsicht zu Beginn der Corona-Pandemie, hat es nun erneut schriftlich: Die Regelungen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) vom März 2020 über das Verlassen der eigenen Wohnung waren mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) gestern entschieden. Dass es im Falle einer Revision so kommen werde, hatten wir bereits im Oktober letzten Jahres vorhergesagt. Wir hatten allerdings nicht erwartet, dies werde Söder bremsen.

Gegenstand des Normenkontrollantrags ist § 4 Abs. 2 BayIfSMV, der das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubte. Triftige Gründe waren insbesondere die in Absatz 3 aufgeführten Tätigkeiten, darunter Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung. Bereits der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hatte die Unwirksamkeit der Regelung festgestellt. Die dagegen eingelegte Revision des Freistaats Bayern hat das BVerwG zurückgewiesen.

Der VGH hatte dies damit begründet, die triftigen Gründe, die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigten, seien so eng gefasst, dass die Ausgangsbeschränkung im Ergebnis unverhältnismäßig gewesen sei. Von der Beschränkung sei auch das Verweilen im Freien alleine oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes erfasst gewesen. Dass diese Maßnahme zur Hemmung der Übertragung des Coronavirus erforderlich und damit im Sinne von § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes in der bei Erlass der Verordnung geltenden Fassung notwendig gewesen sei, sei auf der Grundlage des Vortrags des Freistaats nicht zu erkennen.

Diese Annahme, so das BverwG, sei mit Bundesrecht vereinbar. „Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein gleich wirksames, die Grundrechtsträger weniger belastendes Mittel zur Erreichung des Ziels zur Verfügung steht. Als mildere Maßnahme kamen hier – wie der Verwaltungsgerichtshof zu Recht angenommen hat – Beschränkungen des Kontakts im öffentlichen und privaten Raum in Betracht, mit denen das Verweilen im Freien alleine oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes nicht untersagt worden wäre.“ Sie hätten die Adressaten weniger belastet als die angegriffene Ausgangsbeschränkung. Diese hätten nach der bindenden Auslegung des Landesrechts durch den VGH zwar das Verlassen der Wohnung für Sport und Bewegung erlaubt, aber nicht für bloßes Verweilen an der frischen Luft, z.B. um auf einer Parkbank ein Buch zu lesen.

Bei der Beurteilung, ob die als milderes Mittel in Betracht kommende Kontaktbeschränkung weniger wirksam zur Zielerreichung war als die angegriffene Ausgangsbeschränkung, habe Bayern über einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum verfügt. Der Spielraum bezog sich darauf, die Wirkungen der Maßnahmen zu prognostizieren. Ein solcher Spielraum habe jedoch Grenzen. Das Ergebnis der Prognose müsse plausibel und damit einleuchtend begründet sein. Wie von uns prognostiziert, hat das BVerwG „revisionsrechtlich keine Bedenken“ gegen die Annahme des VGH, es sei beim Vortrag der Landesregierung offengeblieben, „warum ein Verhalten, welches für sich gesehen infektiologisch unbedeutend sei, nämlich das Verweilen alleine oder mit den Personen seines Haushalts im Freien außerhalb der eigenen Wohnung, der Ausgangsbeschränkung unterworfen worden sei“.

Gleiches gelte für die Annahme des VGH, es sei nicht ersichtlich, „dass sich in relevanter Anzahl um die Verweilenden Ansammlungen von Menschen bilden könnten“. Das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien ohne Kontakt zu hausstandsfremden Personen wäre nur erforderlich gewesen, „wenn es über ein Verbot solcher Kontakte hinaus geeignet war, einen relevanten Beitrag zur Verhinderung hausstandsübergreifender Kontakte zu leisten. Zu berücksichtigen war hierbei, dass das Ziel des Antragsgegners, physische Kontakte zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren (§ 4 Abs. 1 BayIfSMV), auch durch die Ausgangsbeschränkung in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht vollständig zu erreichen war.“

Am Ende testiert das BVerwG Söder, „das ganztägig und damit auch während der Tagstunden geltende Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, war ein schwerer Eingriff in die Grundrechte der Adressaten. Für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hätte in der Tatsacheninstanz plausibel dargelegt werden müssen, dass es über eine Kontaktbeschränkung hinaus einen erheblichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten konnte, physische Kontakte zu reduzieren und dadurch die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Auch daran fehlte es hier.“ Späte Genugtuung für Armin Laschet, die ihm aber auch nichts mehr bringt.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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