Donnerstag, 23. Juni 2022

Schwarz/Grüner-Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein erreicht Romanformat

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Sagenhafte 244 Seiten umfasst der Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen in Schleswig-Holstein. Das vorherige Dreierbündnis der beiden Parteien mit der FDP brauchte vor fünf Jahren nur 114 Seiten. Der Koalitionsvertrag der Ampel im Bund benötigte auch ‘nur’ 177 Seiten. Man darf gespannt sein, wie viele Seiten beide Parteien in NRW für ihren Koalitionsvertrag benötigen. Klar, die Zeiten sind derzeit bewegter als 2017, aber so bewegt in Schleswig-Holstein nun auch wieder nicht. Wer so viel aufschreibt, verliert sich meist in Details. Aber kurz und präzise war gestern, jetzt gilt es, Großes in Angriff zu nehmen. Ministerpräsident Daniel Günther erklärte bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages:

„Wir wollen Schleswig-Holstein bis 2040 zum ersten klimaneutralen Industrieland machen. Unseren Standortvorteil als Energiewendeland Nummer eins werden wir ausbauen, noch mehr klimafreundliche Unternehmen ansiedeln und so neuen Wohlstand schaffen und klimafreundliche und zukunftsfeste Arbeitsplätze schaffen. Uns eint die Entschlossenheit, unsere ambitionierten Klimaziele gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und unseren Unternehmen zu erreichen und der Wille, dafür bei Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich schneller zu werden.“

Wie sinnvoll es ist, dass jedes Bundesland (und in Europa jede Landesregierung) sich Ziele für die eigenen Klimaneutralität gibt, die möglichst immer ambitionierter sind als die bis dahin vorgelegten, sei mal dahingestellt. Tatsächlich taucht das Thema Klima im Koalitionsvertrag erst auf Seite 149 auf und wird auf nur vierzehn Seiten abgehandelt. Dagegen umfassen die Vereinbarungen zum Thema Bildung beispielsweise 46 Seiten, während die Finanzpolitik auf zehn Seiten schnell abgehandelt ist.

Fünf Ministerien besetzt die CDU, drei die Grünen. Da die CDU zudem den Ministerpräsidenten stellt, entspricht dies in etwa der Proportion des Wahlergebnisses. Die CDU errang am 8. Mai 43,4 Prozent, Bündnis 90/Die Grünen 18,3 Prozent. Bemerkenswert ist, dass viel Energie darauf verwendet wird, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Das dürfte an der Grünen Basis noch für Verstimmung sorgen, auch wenn dies die Regierungsbeteiligung der Grünen ernsthaft gefährden wird.

An anderer Stelle weht den Koalitionspartnern der Wind schön mächtig ins Gesicht. Das Bündnis Mehr Demokratie e.V. kritisiert scharf, dass sich die Koalition auf eine Generalklausel geeinigt hat (s. 83), die die direkte Demokratie auf kommunale Ebene einschränken soll. Nach den Plänen der Koalition sollen Bürgerbegehren, die sich gegen Infrastruktur-, Investitions- oder Klimaprojekte der Regierung richten, in Zukunft auf Antrag der Landesregierung, einer obersten Landesbehörde oder einer Gemeinde gestoppt werden können. Das würde nach der Einschätzung von Mehr Demokratie 80 bis 90 Prozent aller Bürgerbegehren verhindern und Schleswig-Holstein bei der aktiven Bürgerbeteiligung um 40 Jahre zurückwerfen. Zudem solle die Bauleitplanungen über Themen wie Klimaschutz, öffentliche Daseinsvorsorge, Schulpolitik und Kinderbetreuung in Zukunft nicht mehr Gegenstand von Abstimmungen werden dürfen. Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin von Mehr Demokratie, stellt dazu fest: „Offenbar beabsichtigt die neue Landesregierung die Bürger aus der Politik herauszuhalten und nur noch Abstimmungen über Themen zulassen, die den Plänen der Landesregierung nicht im Weg stehen.”


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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