Donnerstag, 09. Juni 2022

Fuest mahnt Änderung der Finanzpolitik an

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Die diesjährige Mitgliederversammlung des ifo Instituts/München hatte das Thema ‘Geld- und Fiskalpolitik in der EU unter veränderten geopolitischen Bedingungen’. Der Präsident des ifo Instituts, Prof. Dr. Clemens Fuest, erläuterte in seinem Eingangsstatement, man habe dieses Thema gewählt, weil es aufgrund der aktuellen politischen Lage in Europa an Schärfe und Dringlichkeit gewonnen habe. Die EU-Kommission habe noch vor der Corona-Pandemie den Prozess angestoßen, eine Neuordnung des europäischen Stabilitäts- und Wirtschaftspakts umzusetzen. Dazu lägen auch bereits diverse Stellungnahmen vor. Allerdings sei der Prozess wegen der Pandemie etwas ins Stocken geraten. Aktuell stehe die EU vor großen Herausforderungen: Energiekrise (Energiewende sowie enorm gestiegene Energielosen), Geopolitik, Klimaschutz sowie Digitalisierung. Vor diesem Hintergrund werde viel Druck entstehen, die Staatsschulden weiter zu erhöhen, um Investitionen der Staaten zu finanzieren.

Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Staatsverschuldung in Europa aufgrund der Pandemie erneut deutlich zugenommen habe. So erreiche Deutschland aktuell 70,2 Prozent, Frankreich beispielsweise 112,3 Prozent, Griechenland 198,9 Prozent oder Italien 150,9 Prozent. Zudem sei Europa weniger gut mit der Pandemie zurechtgekommen als etwa die USA. So drohe dem Euroraum bis Ende 2022 ein Minus von 14,9 Prozent des BIP im Vergleich zu 2019. Für Deutschland prognostiziert das ifo Institut ein Minus von 14,3 Prozent, während die USA voraussichtlich nur 6,9 Prozent und China 8,2 Prozent einbüßen.

Verstärkt werde die angespannte Situation durch die enorm gestiegene Inflationsrate. Die heute anstehende Entscheidung der EZB, bei der eine Ankündigung des Einstiegs in die Zinserhöhung der EZB zu erwarten sei, werde zudem die Finanzierungskosten der Staaten erhöhen. Daher sei zu erwarten, dass die stark verschuldeten Staaten auf eine Lockerung der bisherigen Regeln drängen würden, da sie gar nicht eingehalten werden könnten. Fuest verglich diese Haltung mit der Forderung, die Geschwindigkeitsbeschränkung in Ortschaften aufzugeben, weil sich keiner daran halte. Dies sei für ihn eine befremdliche Vorstellung. Deshalb plädierte er dafür, die Kriterien beizubehalten. In der späteren Diskussion räumte er allerdings ein, man dürfe sich davon nicht zu viel erwarten. Die Verschuldungsregeln seien in Wahrheit nur „eine Unterhaltung unter Mitgliedsstaaten“. Einklagen ließen sie sich nicht. Und wenn Staaten aus nationalistischen Gründen sich Vorteile davon versprächen, die Regeln zu brechen, würden sie es tun.

Der Kapitalmarkt habe im Übrigen bereits auf die Verschuldungsquoten der EU-Staaten und die steigenden Refinanzierungskosten reagiert, noch bevor die EZB überhaupt einen Zinsbeschluss gefasst habe. Die Renditen der Staatsanleihen und die Spreads innerhalb der EU hätten seit dem 1. Dezember 2021 massiv angezogen. So stieg die Zinsbelastung für italienische Staatsanleihen von einem Prozent bis zum 1. Juni 2022 bereits auf 3,5 Prozent, die der griechischen Staatsanleihen von 1,3 auf 3,7 Prozent. Deutschland dagegen lag im vergangenen Jahr noch im negativen Bereich. Aktuell sind 1,2 Prozent zu zahlen. Es sei absehbar, dass die Refinanzierungskosten weiter steigen würden.

Hart kritisierte Fuest die Haltung der Politik, ständig neue Ausgaben zu produzieren, die über langfristige Schulden finanziert würden. Das sei ein Irrweg. Ausgaben, die für sinnvoll erachtet würden, dürften angesichts der steigenden Finanzierungskosten nicht mehr über Schulden finanziert werden. Zudem sei es falsch, keine Priorisierung der Ausgaben vorzunehmen. So habe Bundeskanzler Olaf Scholz davon gesprochen, man dürfe steigende Verteidigungsausgaben nicht gegen Sozialausgaben ausspielen. Ökonomisch sei dies falsch. Gerade in Zeiten knapper Mittel müssten Priorisierungen vorgenommen werden. Es müsse entschieden werden, ob die Mittel für die Verteidigung oder für Soziales ausgegeben werden sollen. Dies sei zwar unpopulär, ökonomisch aber zwingend.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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