Freitag, 22. April 2022

BGH veröffentlicht vollständiges Urteil zur Nichtentschädigung pandemiebedingt geschlossener Betriebe

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Am 17. März berichteten wir über die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs (BGH), mit der er die wesentlichen Erwägungen seiner Entscheidung zur Entschädigung bei pandemiebedingten Betriebsschließungen bekannt gab. Das Ergebnis fassten wir damals in der Überschrift so zusammen: „BGH versagt staatliche Corona-Entschädigung neben staatlichen Finanzhilfen“. Zu einem seiner Argumente, eine analoge Anwendung der Entschädigungsansprüche des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) komme nicht in Betracht, weil es an einer Regelungslücke fehle und die Interessenlagen nicht vergleichbar seien, hatten wir damals festgestellt: „Wieso dies nicht vergleichbar sein soll, kann erst die Veröffentlichung des Urteils selbst für den Betrachter erhellen. So ist es zunächst einmal nur eine Behauptung.“

Inzwischen sind die Urteilsgründe (Az.: III ZR 79/21) veröffentlicht. Und auch nach Lektüre des sehr umfangreichen Urteils (insgesamt 26 Seiten Begründung) bleiben wir bei unserer ursprünglichen Kommentierung: „Es liegt die Vermutung nahe, der BGH habe ergebnisorientiert entschieden, um weitere milliardenschwere Zahlungen des Staates zu verhindern.“ Das Berufungsgericht (OLG Brandenburg) hat dies sogar ausdrücklich in seiner Entscheidung festgestellt, wie sich aus der Wiedergabe seiner Urteilsgründe durch den BGH ergibt: „Der Anwendungsbereich dieses Rechtsinstituts (enteignender Eingriff, Anm. d. Red.) sei bereits nicht eröffnet, da es keine geeignete Grundlage sei, um massenhaft auftretende Schäden auszugleichen. Nicht zuletzt im Hinblick auf die möglicherweise weitreichenden Folgen für die Staatsfinanzen sei es vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, Vorschriften über den Ausgleich von unzumutbaren, durch Primärrechtsschutz nicht abwendbaren Vermögenseinbußen zu schaffen.“ Der BGH selbst hat es ähnlich formuliert (dazu später mehr)

Sämtliche Argumente des Klägers hat der BGH verworfen. Er selbst fasst dessen Vortrag so zusammen: „Der Kläger macht geltend, durch die Betriebsschließung habe er finanzielle Einbußen in existenzbedrohender Höhe erlitten. Das beklagte Land habe gezielt in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen. Ihm stehe ein Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG zu, da er als Ansteckungsverdächtiger im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG zu behandeln sei und die Betriebsschließung sich ihm gegenüber wie ein Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG ausgewirkt habe. Sehe man dies anders, müsse er >>erst recht<< entschädigt werden. Er dürfe nicht schlechter stehen als derjenige, der das Coronavirus in einen Betrieb einschleppe und nach angeordneter Schließung entschädigt werde. Sollte ein Entschädigungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz verneint werden, sei er jedenfalls als nicht verantwortliche Person im Sinne des § 18 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Brandenburg (OBG Bbg) nach § 38 OBG Bbg zu entschädigen. Zudem lägen die Voraussetzungen des enteignenden sowie des enteignungsgleichen Eingriffs vor. Der dramatische Umfang der Inanspruchnahme sämtlicher Gastronomen sei rechts-widrig gewesen und begründe infolge ihrer Totalausfälle ein Sonderopfer.“

Wir wollen an dieser Stelle nicht die Begründung wiederholen, soweit das Gericht sie in seiner Pressemitteilung bereits genannt hat und die wir entsprechend wiedergegeben haben. Heute wollen wir uns nur noch einmal der Argumentation des BGH zuwenden, warum es keine Regelungslücke gebe und die Interessenslagen nicht vergleichbar sein sollen. Zwar begründet der BGH sehr ausführlich, warum die fehlende gesetzliche Regelung einer Entschädigung für Nichtstörer im Infektionsschutzgesetz bei Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung keine Regelungslücke sei, sondern eine gewollte Entscheidung des Gesetzgebers.

Ein entscheidender Punkt seiner Argumentation ist dabei zwischen Risikovorsorge und Gefahrenabwehr beim Infektionsschutz zu unterscheiden. Die angeordneten Betriebsschließungen seien als Seuchenbekämpfungsmaßnahme (Gefahrenabwehr) einzustufen, für die es nach der speziellen Regelung des IfSG keine Entschädigung gebe. Entschädigung könnten nur Nichtstörer bei Maßnahmen erhalten, die der Verhütung der Seuche (Risikovorsorge) dienten. Der Gesetzgeber habe die Entscheidung getroffen, „dass für den Bereich der (bloßen) Risikovorsorge von einer geringeren Sozialpflichtigkeit des von Präventivmaßnahmen betroffenen Eigentümers und zugleich von einer höheren Entschädigungswürdigkeit der in dieser Phase, in welcher lediglich die Möglichkeit eines künftigen Seuchengeschehens besteht, verursachten Schäden auszugehen ist. Auch sind die zu entschädigenden Schäden bei nur vorbeugenden Maßnahmen typischerweise begrenzter als die durch umfassende Schutzmaßnahmen nach Ausbruch einer übertragbaren Krankheit entstehenden Verluste.“ Man wird allerdings trefflich darüber streiten können, ob die Schließung eines Hotels tatsächlich der Bekämpfung der Seuche oder der Vorsorge einer weiteren Verbreitung dient. Letztlich schwingt hier entscheidend das Argument durch, den Staatshaushalt vor zu hohen Entschädigungszahlungen schützen zu wollen.

Eine Entschädigung nach den Grundsätzen des enteignenden Eingriffs lehnt der BGH ab, weil diese nur in Betracht kämen, „wenn an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahmen bei einem Betroffenen zu meist atypischen und unvorhergesehenen Nachteilen führen, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren (bzw. die Sozialbindungsschwelle) übersteigen“. Der vom Gesetzgeber bewusst herbeigeführte Zuschnitt der infektionsschutzrechtlichen Entschädigungsbestimmungen verlöre seinen Sinn, „wenn diese Regelung schlicht durch allgemeine Haftungsgrundlagen ergänzt und komplettiert werden könnte“

Gerichte dürften nur dann Entschädigungsansprüche oder Ausgleichsleistungen im Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zuerkennen können, wenn das Gesetz eine entsprechende Regelung enthalte. Die Zubilligung von Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen gegen den Staat mit weitreichenden Folgen für die Staatsfinanzen lege es nahe, solche Ansprüche entsprechend dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip der Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers vorzubehalten. Letztlich würde die Gewährung von Ansprüchen für Vermögenseinbußen durch flächendeckende Infektionsschutzmaßnahmen wie Betriebsschließungen oder Betriebsbeschränkungen im Ergebnis darauf hin-auslaufen, „das Infektionsschutzgesetz kraft Richterrechts in unzulässiger Weise um eine Klausel für Ausgleichsleistungen im Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2  GG zu ergänzen“.

Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche seien keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folge aus dem Sozialstaatsprinzip, „dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist.“ Gekippt werden kann diese Entscheidung allenfalls noch durch das Bundesverfassungsgericht. Ob allerdings der Kläger, Zeit, Geld und Nerven aufbringt, auch noch ein Verfassungsbeschwerdeverfahren anzustrengen, bleibt abzuwarten. Betrachtet man die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie, kann man nicht allzu optimistisch sein, was den Ausgang dieses Verfahrens beträfe.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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