Montag, 21. März 2022

Auch nach Corona bleibt der Mittelstand gefordert

Gastkommentar von Prof. Dr. Friederike Welter
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Es ist nun bereits zwei Jahre her, dass die Corona-Pandemie auf den Mittelstand in Deutschland hereinbrach und selbst wirtschaftlich gesunde Unternehmen vor große Herausforderungen stellte. Für viele Unternehmen zahlte es sich jedoch aus, dass sie aus der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 gelernt und ihre Eigenkapitalquote in den Jahren danach deutlich gesteigert hatten. Zugleich trug die Struktur der Familienunternehmen maßgeblich dazu bei, dass unternehmerische Prozesse schnell an die veränderte Situation angepasst werden konnten. Wesentliche Eigenschaften des Mittelstands wie Flexibilität, Kundennähe und Kreativität wurden für viele Unternehmen zum Überlebensvorteil: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiteten – wo immer dies ging – im Homeoffice weiter. Teilweise wurde die Produktion in besonders stark betroffenen Branchen auf Güter umgestellt, die nun dringend in der Krise benötigt wurden. Alternativ wurden neue Geschäftsoptionen ausgelotet und umgesetzt. Dennoch hat die Pandemie Spuren hinterlassen, auch wenn die damalige Bundesregierung rasch Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg gebracht und stetig nachjustiert hat. Besonders gravierend waren die wirtschaftlichen Konsequenzen für diejenigen mittelständischen Bereiche, die aufgrund der pandemischen Situation immer wieder oder über längere Zeit schließen mussten, wie Kultur, Gastronomie, Tourismus und Einzelhandel.

Herausforderung Nr. 1: Fachkräftemangel

Die Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe konnten in den vergangenen zwei Jahren unter Einhaltung eines Hygienekonzeptes in Deutschland weitestgehend unbehindert weiter agieren. Bei einer Befragung des IfM Bonn im Herbst 2021 gaben sie denn auch an, dass die Pandemie längst nicht mehr das Bedrohungspotenzial besäße wie sie es den Monaten zuvor gehabt hatte. Stattdessen stehen für die Führungskräfte dieses Wirtschaftsbereichs vor allem die Herausforderungen "Fachkräftemangel", "Digitalisierung" und "Erhöhter Wettbewerbsdruck“ und "Innovationsfähigkeit" im Vordergrund. Dabei zeigen sich bezogen auf die Unternehmensgröße Unterschiede: So gaben kleine und mittlere Unternehmen häufiger als große Unternehmen an, Probleme bei der Fachkräftesuche zu haben. Große Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe nannten dagegen öfters den steigenden Wettbewerbsdruck als Herausforderung, der auch auf den steigenden Rohstoffpreisen sowie Marktveränderungen beruhe. In Folge des russischen Einmarschs in die Ukraine und der damit verbundenen Sanktionen gegen Russland dürfte der Umgang mit der Rohstoffknappheit zusätzlich an Bedeutung gewonnen haben.

Gleichwohl zeigte die IfM-Befragung im Herbst 2021 auch, dass die mittelständischen Industrieunternehmen ihre Herausforderungen nicht nur annehmen, sondern auch bereits Lösungen dafür suchen: So bemühen sich viele Unternehmen, sowohl junge Fachkräfte auszubilden als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend weiterzubilden – um sie zugleich an das Unternehmen zu binden.

Eine weitere Chance, den drohenden Fachkräftemangel abzufangen, sehen die Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe auch in der Digitalisierung: Ein Teil der Unternehmen plant neue Technologien zu implementieren, ein anderer Teil zielt auf eine stärkere Vernetzung der Unternehmensbereiche bzw. auf einen stärkeren Einsatz von Robotik.

Politikziel: Klimaneutralität bis 2045

Neben den wirtschaftlichen Nachwirkungen der Pandemie und den dargestellten aktuellen Herausforderungen gilt es für die mittelständischen Unternehmen eine weitere Aufgabe zu bewältigen: Schließlich hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die soziale Marktwirtschaft zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln und bis 2045 die Klimaneutralität zu erreichen.

Auch zu dieser Herausforderung haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IfM Bonn Führungskräfte im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland befragt. Das Ergebnis: Im Hinblick auf die Risiken, die sich durch den Klimawandel ergeben, sind die Unternehmen längst über alle Größenklassen hinweg sensibilisiert. Auch berücksichtigen sie bereits Aspekte des Klimaschutzes bei unternehmerischen Entscheidungen: Mehr als die Hälfte der Unternehmen gab an, in den drei vorangegangenen Jahren umweltrelevante Innovationen umgesetzt zu haben. Mehr als 50 Prozent von ihnen hatten dabei umweltbezogene Prozessinnovationen realisiert, knapp 40 % von ihnen Umweltproduktinnovationen.

Was der Mittelstand angesichts der Herausforderungen braucht

Während der Corona-Pandemie waren sektorale und betriebsbezogene Hilfen zweifellos sinnvoll und wichtig, damit die mittelständischen Unternehmen den exogenen Schock abfangen konnten. Ansonsten hätte die Gefahr bestanden, dass die (regionale) Vielfalt des mittelständischen Wirtschaftsgeschehens verloren geht und damit auch wichtige Teile des gesellschaftlichen Beitrags wegfallen. Ein Beispiel: Während der Pandemie haben sich die Familienunternehmerinnen und Familienunternehmer bemüht, so lange wie wirtschaftlich möglich, ihre Beschäftigten zu halten. Hierbei hat ihnen auch das Kurzarbeitergeld geholfen. Wäre es zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen gekommen, hätte dies dazu geführt, dass die Erwerbstätigen ohne Arbeit aufgrund der fehlenden finanziellen Möglichkeiten nicht mehr am gesellschaftlichen Leben hätten teilnehmen können. Dies führt dazu, dass deren gefühlte Lebensqualität sinkt – was sich wiederum auf ihre Demokratiezufriedenheit auswirken kann. Schließlich hängt diese in hohem Maße von der wirtschaftlichen Lage und dem wirtschaftlichen Wohlergehen jedes Einzelnen ab.

Damit der Mittelstand die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen meistern und seine Vielfalt gewahrt werden kann, brauchen die Unternehmen nun jedoch wieder verbindliche Rahmenbedingungen. Dabei muss die Politik zugleich – ähnlich wie im Verlauf der Pandemie – bereit sein, sehr kurzfristig auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, notfalls (klimapolitische) Prioritäten zu verschieben und Vorgaben für die Wirtschaft situationsbedingt anzupassen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Maßnahmen, die den Mittelstand zusätzlich über Gebühr belasten könnten, wie es aktuell im Hinblick auf die gestiegenen Energiepreise der Fall ist.

Insgesamt sollte daher Mittelstandspolitik noch viel stärker als Querschnittspolitik verstanden werden. Konkret bedeutet dies: Bei jedem geplanten Gesetz sollten unbedingt alle beteiligten Ministerien die Auswirkungen der Vorgaben auf die mittelständischen Unternehmen im Auge behalten, um unnötige Belastungen zu vermeiden. Dieses Ziel wird umso besser gelingen, je mehr Vertreterinnen und Vertreter des Mittelstands in die Gestaltung der Gesetzgebung einbezogen werden. Zudem können so unterschiedliche Grundannahmen vermieden werden. So hat eine frühere Studie des IfM Bonn gezeigt, dass ein wesentlicher Grund für die Bürokratieverdrossenheit der Unternehmerinnen und Unternehmer darin liegt, dass sie ein anderes Verständnis dazu haben als die Politik: Während letztere den Begriff auf die Dokumentations- und Informationspflichten sowie auf den benötigten Erfüllungsaufwand beschränkt, zählt der Großteil der Unternehmen auch halböffentliche Vorgaben von Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, Normungsinstituten oder Berufsgenossenschaften dazu. Gleichwohl wäre es hilfreich, wenn die Politik angesichts der vielfältigen Herausforderungen für den Mittelstand nun zielgerichtet die Bürokratie in den unterschiedlichen Bereichen auf den Prüfstand stellen würde.

Prof. Dr. Friederike Welter ist Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn und Professorin an der Universität Siegen.


Verfasst von: Friederike Welter | Kommentare (0)

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