Donnerstag, 20. Januar 2022

Wie politische Vorlieben journalistische Grundsätze bei der Berichterstattung zunehmend beeinflussen

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Die journalistische Behandlung der aktuellen Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen ist ein erneutes Beispiel dafür, wie die Bewertung von Sachverhalten durch viele Medien nicht mehr von den Fakten, sondern den politischen Vorlieben geprägt wird. Die Tatsache, dass der Grüne-Bundesvorstand sich selbst im vergangenen Jahr eine steuerfreie Corona-Prämie über 1.500 Euro gezahlt hat, ist an sich zumindest ein moralisch durchaus kritikfähiger Sachverhalt. Ob er am Ende strafrechtlich zu ahnden ist, steht auf einem anderen Blatt. Zudem betrifft der Vorwurf teilweise Personen, die inzwischen hohe Regierungsämter innehaben. Betrachtet man jedoch die Berichterstattung vieler Medien darüber, wird daraus eher eine lässliche Sünde.

Man stelle sich vor, der gleiche Sachverhalt beträfe den Bundesvorstand der AfD. Wir wollen uns gar nicht ausmalen, wie dann die Kommentierungen lauten würden. Besonders eindrucksvoll hat seine vorgeprägte Vorgehensweise mal wieder der WDR unter Beweis gestellt. Der warf in einem Beitrag im Mittagsmagazin von WDR 2 die bedeutungsschwere Frage auf, wer hinter den Strafanzeigen stecke, die zu den Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft geführt hat. Das darf gemeinhin wohl als Vorwurf an die Anzeigenerstatter verstanden werden, sich für etwas Schäbiges herzugeben. Im Falle des gleichen Vorgangs bei der AfD wären aus den Anzeigenerstattern wohl mutige Menschen geworden, die tranfunselige Staatsanwälte antreiben müssen, um tätig zu werden.

Der Spiegel feiert in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen. Verlagsgründer Rudolf Augstein hatte einst den schönen Satz geprägt, Aufgabe des Spiegel wie des Journalismus sei: „Sagen, was ist“. Er ist quasi als Mahnmal für heutige Redakteure im Verlagsgebäude des Spiegels prominent an der Wand platziert. Der Spiegel hat dies in diesem Fall durchaus beherzigt, in der Vergangenheit wie aktuell zahlreiche andere aber häufiger auch nicht. Es ist höchste Zeit, dass sich Journalisten wieder mehr an diese Grundtugend halten, vor allem diejenigen, die in öffentlich-rechtlichen Sendern nach eigenem Verständnis in besonderer Weise zur demokratischen Meinungsbildung beitragen sollen. Um es klar zu sagen: Sie sollen Meinungsbildung der Zuschauer oder Hörer ermöglichen, nicht sie vorgeben!


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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