Freitag, 14. Januar 2022

Gespaltene Konjunktur im nordrhein-westfälischen Handwerk – Fachkräftemangel ein Kernproblem

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Nicht nur im Einzelhandel ist die wirtschaftliche Situation der Betriebe derzeit extrem unterschiedlich (stationärer Handel einerseits, Onlinehandel andererseits). Auch im Handwerk leiden die Unternehmen sehr differenziert unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Auf der virtuellen Jahresauftaktpressekonferenz von HANDWERK.NRW, der Dachorganisation von rund 196.000 Unternehmen und 1,19 Millionen Beschäftigten des nordrhein-westfälischen Handwerks, berichtete dessen Präsident, Andreas Ehlert, von einer sehr heterogenen konjunkturellen Entwicklung: „Das Baugewerbe boomt weiter und profitiert von einer hohen Nachfrage nach Bauleistungen. Auf der anderen Seite leiden die Lebensmittelhandwerke und die personenbezogenen Dienstleistungen wie Kosmetiker und Fotografen wieder massiv unter den aktuellen Einschränkungen.“

Bei letzteren befürchtet Ehlert, könne einigen demnächst „die Puste ausgehen“. Sie hätten schon ihr Eigenkapital stark in Anspruch nehmen müssen. Besserung sei aktuell nicht absehbar. Auch Lieferkettenprobleme und Preissteigerungen für Rohstoffe und Vorprodukte prägen derzeit die Handwerkskonjunktur. Selbst dem primär auf die Binnennachfrage ausgerichteten Handwerk machten die Probleme im internationalen Warenverkehr und in der industriellen Produktion weiter zu schaffen.

Für 2021 geht der Verband aufgrund der Zahlen der ersten drei Quartale davon aus, es habe im Gesamthandwerk ein nominelles Wachstum von rund zwei Prozent gegeben. Bewahrheitet sich dies, so wäre dies real ein Rückgang, da die Inflationsrate 2021 darüber gelegen hat. Für 2022 prognostiziert Ehlert ein nominelles Wachstum von etwa 3,5 Prozent, was aber ebenfalls durch die Inflation real vernichtet werden dürfte. Die aktuelle Mischung von hoher Inflation, niedrigen Zinsen und ausgedehnter Staatsverschuldung sei für den Mittelstand eine schwierige Situation. Das gelte auch für die explodierenden Baupreise und Energiekosten. „Für Vorsorge und Vermögensbildung jedweder Art“, so Ehlert, „ist das eine denkbar schlechte Konstellation“. Helfen würde da „die Rückbesinnung auf tragfähige Staatshaushalte“. Man muss dies wohl leider als Wunschvorstellung bezeichnen. Die Realität bewegt sich gerade in eine andere Richtung.

Neben der offenbar nie endenden Corona-Pandemie beeinträchtigt das Handwerk insgesamt der immer massivere Fachkräftemangel. „Der Fachkräftemangel würgt das Wachstum im Handwerk ab“, betonte Ehlert. Dabei werde die Nachfrage nach Handwerkerleistungen in den nächsten Jahren noch zunehmen: „Für mehr Klimaschutz müssen wir viel mehr konkrete Maßnahmen in den Bereichen Gebäude, Energie oder Mobilität umsetzen als bislang. Dafür brauchen wir keine Mundwerker, sondern Handwerker, die anpacken.“ Als kleine Spitze gegenüber Fridays for Future merkte er an, wer „nicht nur fürs Klima streiken, sondern anpacken will, der ist bei uns genau richtig“.

Im politischen Teil seiner Rede beschäftigte sich Ehlert mit der neuen Bundesregierung und der im Mai in Nordrhein-Westfalen anstehenden Landtagswahl. Der Ampel bescheinigte er, der Koalitionsvertrag enthalte einige Punkte, „die wir als Handwerk als Chance sehen“. Namentlich nannte er ● den Verzicht auf Steuererhöhungen und eine Vermögensteuer ● die Garantie des dualen Gesundheitssystems ● die Stärkung der beruflichen Bildung ● die Modernisierung der Verwaltung und die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie ● die Absicht, die gesteuerte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt zu verbessern.

Skeptisch beurteilt Ehlert aus Sicht des Handwerks vor allem die fehlenden Antworten auf die Strukturprobleme der Sozialversicherungssysteme. Insbesondere das fehlende Bekenntnis, die Sozialversicherungsbeiträge wie in der Großen Koalition auf 40 Prozent deckeln zu wollen, macht ihm große Sorgen. Geradezu „unerträglich“ sei das Ignorieren der Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Finanzpolitik sieht das Handwerk kritisch, speziell den verfassungsrechtlich bedenklichen Vorgang, die nicht benötigten Finanzmittel für Corona-Maßnahmen jetzt für den Klimafonds zu verwenden. Die klimapolitischen Ziele, die das Handwerk im Grundsatz durchaus teilt, seien allerdings „ambitioniert“. Dabei bleibe unklar, „zu welchem Preis sie zu erreichen sind“. Bei den Corona-Maßnahmen vermisst Ehlert vor allem „Verlässlichkeit und Planbarkeit“. Beides sei für die Wirtschaft „unerlässlich“.

Schließlich gab Ehlert noch einen Ausblick zur Landtagswahl in NRW. Das Handwerk hat dazu bereits im vergangenen November ein Thesenpapier erarbeitet. Rückblickend müsse man feststellen, Nordrhein-Westfalen sei unter der jetzigen Landesregierung „ein gutes Stück vorangekommen“. Man spüre wieder einen „höheren Anspruch darauf, vorne mitzuspielen und die Zukunft anzupacken“. Gut sei auch, dass mit Hendrik Wüst „ein ausgewiesener Wirtschaftspolitiker Ministerpräsident geworden ist“. Aber natürlich gab es seitens Ehlert nicht nur Lob, sondern auch Kritik an der amtierenden NRW-Regierung. Denn auch sie hat nicht alle Versprechen gehalten. So monierte Ehlert, NRW sei „nach wie vor Hochsteuerland“ im Hinblick auf die Grunderwerbsteuer (6,5 Prozent). Auch habe die Landesregierung nicht die Kraft aufgebracht, wie etwa Bayern, die Öffnungsklausel bei der Grundsteuer zu nutzen. „Ich habe offen gestanden“, mahnte er, „große Sorgen, dass uns hier ein neues Bürokratiemonster droht – mit eingebauter Steuerprogression“. Auch die Sanierung und Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur bleibe „eine große Herausforderung“.

Seinem Schlussappell ist aus unserer Sicht nichts hinzuzufügen: „Das Handwerk ist ein starkes Stück Nordrhein-Westfalen, und es will für die Zukunft unseres Landes anpacken. Dafür braucht es aber kluge, wettbewerbs- und mittelstandsfreundliche Rahmenbedingungen.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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