Donnerstag, 25. November 2021

Weidmann mahnt eindringlich Wechsel in der Geldpolitik der EZB an

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Am 24. November fand in der Hauptverwaltung Nordrhein-Westfalen der Deutschen Bundesbank in Düsseldorf die feierliche Verabschiedung ihrer Ende des Monats scheidenden Präsidentin Margarete Müller statt. Zugleich wurde ihr Nachfolger Jochen Metzger ins Amt eingeführt. Leider konnte coronabedingt die Verabschiedung vor Ort nur in kleinem Rahmen stattfinden. Müller hätte ein größeres anwesendes Publikum verdient gehabt. Auch die Reden wurde daher weitgehend nicht vor Ort gehalten.

Der scheidende Bundesbankpräsident Dr. Jens Weidmann nutzte per Videozuschaltung die Gelegenheit, nicht nur Margarete Müller für ihre insgesamt 39 Jahre währende Tätigkeit in der Deutschen Bundesbank, davon acht als Präsidentin der Hauptverwaltung Nordrhein-Westfalen, ausführlich zu würdigen (dazu weiter unten mehr), sondern auch noch einmal klar Position in Richtung EZB zu beziehen. Weidmann analysierte, die hohe Inflationsrate in Deutschland sei zwar teilweise auf Sonderfaktoren zurückzuführen, drohe sich aber zu verselbständigen. Allein die Rückkehr zu höheren Mehrwertsteuersätzen hebe „die Inflationsrate zurzeit um 1¼ Prozentpunkte an. Hinzu kommen die Einführung von CO2-Zertifikaten in einzelnen Sektoren und die Erholung des Ölpreises von seinem sehr niedrigen Niveau im Vorjahr.“ Doch zunehmend gewännen andere Faktoren die Oberhand.

Die gestiegenen Rohstoffnotierungen, Frachtkosten und Preise für Vorprodukte schlügen „auf die Verbraucherpreise durch. Zweitens trägt die Öffnung der Wirtschaft zur erhöhten Inflationsrate bei. So wurden die Preise in einzelnen Dienstleistungsbereichen, wie Freizeit und Transport, spürbar angehoben. Und drittens sind zuletzt die Notierungen für Rohöl und Erdgas kräftig gestiegen.“ Aktuell erwartet die Bundesbank Ende des Monats eine Inflationsrate von „fast sechs Prozent“ und ein Absinken unter drei Prozent „erst Ende nächsten Jahres“. Zwar gebe es ein Deutschland und im Euroraum auch „Abwärtsrisiken“, aber aus seiner Sicht überwögen „klar die Aufwärtsrisiken“.

Weidmann nannte explizit drei Gründe dafür: Erstens hätten die Verbraucher aufgrund der Pandemie erhebliche Ersparnisse gebildet (in Deutschland geschätzt 200 Milliarden Euro), die nun in den Konsum flössen. „Vor diesem Hintergrund könnte sich der aufgestaute Konsum stärker entladen als erwartet und den Unternehmen mehr Spielraum geben, ihre Preise anzuheben“. Zweitens sei zu befürchten, dass die Lieferengpässe länger anhielten und drittens „könnte auch ein anfänglich vorübergehender Preisauftrieb sich fortpflanzen, wenn die Inflationserwartungen oder das Lohnwachstum anziehen. Dabei könnten sich beide Faktoren – höhere Inflationserwartungen und kräftigere Lohnzuwächse – gegenseitig verstärken.“

Doch nicht nur in Deutschland, auch im Euroraum steigt die Inflationsrate deutlich. Weidmann verwies darauf, derzeit legten „marktbasierte Indikatoren (sogenannte Inflationsswaps) eine Inflationsrate von rund drei Prozent für den Euroraum im Jahresdurchschnitt 2022 nahe. Noch im Januar hatte diese Termininflationsrate gerade mal ein Prozent betragen.“ Für Weidmann ist die Konsequenz klar: „Alles zusammengenommen könnte es aber eben durchaus sein, dass die Inflationsrate im Euroraum in der mittleren Frist nicht wieder unter zwei Prozent fällt. Deshalb sollte die Geldpolitik nicht einseitig auf das Risiko einer zu niedrigen Inflationsrate schauen, sondern auch auf das Risiko einer hartnäckig zu hohen Inflationsrate achten.“

Bisher sind seine Warnungen im EZB-Tower in Frankfurt verpufft. Christine Lagarde hat allenfalls wolkig in ferner Zukunft liegende Zinsänderungen der EZB in Aussicht gestellt. Weidmann hält dies für falsch. Notfallmaßnahmen seien zu Recht eng an die Pandemie gebunden und müssten beendet werden, „sobald die Notsituation überwunden ist“. Zudem müsse die „Geldpolitik insgesamt wieder normalisiert werden“. Geldpolitische Entscheidungen müsste immer „unter Unsicherheiten“ getroffen werden. Deshalb plädiert er dafür, die Geldpolitik „rechtzeitig und graduell“ zu normalisieren. Eine solche Geldpolitik dürfte zwar „wenig Beifall finden – sowohl an den Finanzmärkten als auch bei den Staaten. Schließlich werden deren Finanzierungskosten von der Geldpolitik beeinflusst. Von äußerem Druck dürfen sich die Notenbanken aber nicht beirren lassen. Um keine falschen Erwartungen aufkommen zu lassen, sollten sie schon heute mit klarer Stimme kommunizieren: Wir werden die Preisstabilität auch dann sichern, wenn es zu Konflikten mit Zielen anderer Politikbereiche kommt. Genau für diesen Fall wurde den Notenbanken die Unabhängigkeit gewährt.“

Weidmann ist sich erneut treu geblieben. Dafür gebührt ihm allergrößter Respekt. Gleichzeitig hat seine Rede noch einmal verdeutlicht, warum er sich für den freiwilligen Rückzug vom Amt des Bundesbankpräsidenten, auch im Licht der neuen Koalition, entschieden hat.

Margarete Müller dürfte es daher sehr gefreut haben, dass es noch Weidmann war, der ihr zuvor großes Lob für ihre Arbeit bei der Bundesbank gezollt hatte. Er würdigte dabei vor allem auch Müllers starke und sehr menschliche Führung, die ganz auf den Teamgedanken gesetzt habe. „In Ihrem ersten Weihnachtsbrief als HV-Präsidentin“, so Weidmann, „schrieben Sie: >>Ich bin überzeugt, dass gegenseitige Wertschätzung und Zusammenhalt uns weiterbringen<<. Und für Wertschätzung und Zusammenhalt haben Sie viel unternommen.“ Unter Müllers Führung sei ein besonderer Geist gewachsen. Sinnbildlich dafür stehe ein Satz, den sie einmal gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen verwandt habe: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Wenn nicht alles täuscht, ist das auch das Konzept der neuen Ampel-Regierung.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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