Freitag, 12. November 2021

Rechnungshofpräsident bewertet Finanzlage des Bundes als kritisch

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Der Präsident des BundesrechnungshofesKay Scheller, hat dem Deutschen Bundestag in seiner Eigenschaft als Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung eine Analyse zur Lage der Bundesfinanzen zugeleitet. Und die hat es in sich. Scheller, der immer moderat im Ton und in der Wortwahl auftritt, gleichwohl ein überzeugter Verfechter solider Staatsfinanzen ist, deckt schonungslos die prekäre Finanzsituation des Bundes auf. So muss der Bundeshaushalt für die Jahre 2020 bis 2022 ein Anwachsen der Schulden um fast eine halbe Billion Euro verkraften.

Scheller fordert deshalb von der neuen Bundesregierung, nach einem umfassenden Kassensturz zu einer finanziell nachhaltigen Haushaltspolitik zurückzukehren. „Der Bundeshaushalt muss stabilisiert werden, um die gewaltigen finanzwirtschaftlichen Lasten und Herausforderungen bewältigen zu können. Der demografische Wandel und die zukunftsrelevanten Aufgaben im Klimaschutz, bei der Digitalisierung und Bildung, bei der Modernisierung und dem Ausbau der Infrastruktur sowie die Verpflichtungen Deutschlands im europäischen und internationalen Kontext erlauben kein Zuwarten.“

Ebenso eindeutig warnt er vor einem Aufweichen der Schuldenbremse. „Das Festhalten an der Schuldenregel des Grundgesetzes, die sich auch in der Krise bewährt hat, schützt dabei das nach unserer Verfassung elementare parlamentarische Budgetrecht, bewahrt künftige Handlungsspielräume und hilft damit den nachfolgenden Generationen, ihre finanzpolitische Entscheidungshoheit und -freiheit zu bewahren.“ Eine unbegrenzte, weitere Staatsverschuldung, offen oder durch Umgehung der Schuldenregel, müsse vermieden werden. „Sie lässt sich auch nicht mit den derzeit (noch) niedrigen Zinsen rechtfertigen. Angesichts des deutlich gewachsenen Schuldenbergs und hoher jährlicher Anschlussfinanzierungen würde die Zinslast des Bundes bei einer Normalisierung des Zinsniveaus schnell steigen.“

Scheller empfiehlt der neuen Bundesregierung, sich auf die „drängendsten, dem Bund vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben“ zu konzentrieren. Dabei sollten die Sozialtransfers „auf die wirklich Schwachen und Bedürftigen“ fokussiert werden. Die Steuereinnahmen sollten durch „eine verstärkte Bekämpfung von Steuerbetrug“ vermehrt werden. Subventionen und Vergünstigungen sollten daraufhin überprüft werden, ob sie wirtschaftliche Wirkung oder klimaschädliche Effekte entfalten.

Es sieht nicht nur aktuell nicht gut für die Staatsfinanzen aus, auch die nähere Zukunft verspricht nichts Gutes. Daran ändert auch das nach der Veröffentlichung dieses Berichts bekannt gewordene Ergebnis der Steuerschätzer nichts, wonach die Steuereinnahmen bis 2025 um 179 Milliarden Euro höher liegen sollen als bisher prognostiziert. Die Summe gilt für alle Ebenen, Bund, Länder und Gemeinden. Auf den Bund entfallen davon 56 Milliarden Euro. Die Probleme, die Scheller anspricht, betreffen allein den Bundeshaushalt: Für die Jahre 2023 bis 2025 enthalte der bestehende Finanzplan eine unzureichende finanzielle Vorsorge und erhebliche Finanzlücken. „Die durch Einmalmaßnahmen und Globalansätze verdeckten strukturellen Finanzierungslücken betragen für die Jahre 2022 bis 2025 insgesamt gut 78 Milliarden Euro. Für das Jahr 2025 enthält der Finanzplan einen Globalansatz von 6,2 Milliarden Euro, der als >>finanzpolitischer Handlungsbedarf<< bezeichnet wird. Hierunter verbirgt sich schlicht eine Finanzierungslücke.“

Auch die bisher beibehaltene teilweise Erhebung des Solidaritätszuschlages sei ein finanzpolitisches Risiko. Es sei damit zu rechnen, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Zustand als verfassungswidrig erklären werde. „Auf Grundlage der in den Finanzplanjahren 2022 bis 2025 aus dem Solidaritätszuschlag veranschlagten Einnahmen von rund 40 Milliarden Euro drohen angesichts der laufenden verfassungsgerichtlichen Prüfung zusätzliche milliardenschwere Belastungen für den Bundeshaushalt.“

Verschärfend komme hinzu, dass der Bundeshaushalt ab dem Jahr 2023 und vor allem ab dem Jahr 2026 Tilgungsleistungen zu erbringen habe, „um die verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Rückzahlungsverpflichtungen für die Notlagenkredite der Haushalte 2020 bis 2022 zu erfüllen“. Diese Tilgungen belaufen sich zunächst (ab dem Haushalt 2023) auf jährlich rund 2,1 Milliarden Euro (Notlagenkredite 2020, im Finanzplan berücksichtigt) sowie auf jährlich rund 20,6 Milliarden Euro ab dem Haushalt 2026 (kumulierte Notlagenkredite 2020-2022).

Ein besonderes Augenmerk richtet Scheller in seinem Bericht auf das Problem einer nachhaltigen, zukunftsfesten Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Die Sozialabgabequote drohe bis Ende 2025 auf 52,5 Prozent anzusteigen. Im bisherigen Haushaltsentwurf für 2022 seien 108 Milliarden Euro für Leistungen an die gesetzliche Rentenversicherung vorgesehen, bei Gesamtausgaben von 443 Milliarden Euro. Dagegen seien für Investitionen nur 51,8 Milliarden Euro eingestellt.

Dass so langsam auch Deutschland abhängig von niedrigen Zinsen der EZB ist, machen diese Zahlen des Berichts deutlich: Aufgrund der exorbitant hohen Kreditaufnahme sollen nach den bisherigen Planungen die Zinsaufwendungen für die Jahre 2022 bis 2025 auf 59 Milliarden Euro steigen (im Zeitraum 2018 bis 2021 betrugen sie erst 45,5 Milliarden). Sollte die EZB die Zinsen in näherer Zukunft anheben, würden die Ausgaben für die Refinanzierung massiv ansteigen. Noch gibt es keinen Koalitionsvertrag. Aber es steht zu befürchten, dass Schellers rechtzeitig abgelieferte Mahnung dort nicht den gebotenen Niederschlag finden wird. Ingo Zamperoni pflegt die Zuschauer der Tagesthemen gerne mit dem Satz zu verabschieden: „Bleiben Sie zuversichtlich.“ Fällt angesichts dieser Zahlen schwer.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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