Dienstag, 21. September 2021

Jahresbericht des Nationalen Normenkontrollrats verdeutlich eindrucksvoll Entbürokratisierungsbedarf

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Während Annalena Baerbock meint, jedes Verbot sei ein Innovationstreiber, versucht Armin Laschet Mehrheiten für die Entfesselung der Wirtschaft zu gewinnen. Bisher leider eher mit wenig Erfolg. Wie dringend aber Entbürokratiesierung wäre, belegt der gerade erschienene Jahresbericht des Nationalen Normenkontrollrates (NKR). Seine Kernbotschaft lautet: Der Erfüllungsaufwand ist im Berichtszeitraum 2020/21 um rund 5,1 Milliarden Euro gestiegen, im Wesentlichen durch zusätzliche Kosten der Verwaltung, insbesondere durch Personalausgaben. Sprunghafte Erhöhungen des Erfüllungsaufwands etwa durch die Gesetze zur Ganztagsbetreuung oder auch zu energieeffizienten Fahrzeugen haben seit 2011 dazu geführt, dass die Verwaltung die Wirtschaft erstmals als Hauptbetroffene abgelöst hat. Diesem Kosten-Trend muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Nicht nur die Kosten steigen, auch die Anzahl der Regelungen. Im Berichtszeitraum 2020/21 hat der NKR insgesamt 611 Gesetzes- und Verordnungsentwürfe geprüft Die Anzahl der geprüften Regelungsvorhaben ist im Vergleich zum Vorjahr (433 Prüfungen) um rund 40 Prozent gestiegen Von den 611 Vorhaben hatten 322 keine oder marginale Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand 289 Vorhaben führten dagegen zu einer Veränderung des einmaligen und/oder des jährlichen Erfüllungsaufwands.

Seit 2011 hat sich der jährliche Erfüllungsaufwand für alle Normadressaten laut Jahresbericht „um rund 10,7 Milliarden Euro erhöht. Im aktuellen Berichtszeitraum 2020/21 ist diese Belastung im Vergleich zum Vorjahr um zusätzliche 5,1 Milliarden Euro oder 90 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg ist die bisher größte Veränderung des gesamten jährlichen Erfüllungsaufwands. Wie der Monitor Erfüllungsaufwand zeigt, geht dies vor allem auf den erheblich gestiegenen jährlichen Aufwand der Verwaltung zurück.

Das ist allerdings nur ein schwacher Trost für Bürger und Unternehmen. Denn die zunehmenden Bürokratiekosten der Verwaltung zahlen die Bürger und Unternehmen selbst. Es sind schließlich deren Abgaben, die für die Finanzierung verwandt werden. Um welche Summen es dabei geht, macht diese Passage deutlich: „Nach zehn Jahren Erfüllungsaufwand ergibt sich damit für die Verwaltung folgendes Bild: Die Bundesregierung beschloss insbesondere seit dem Jahr 2016 Gesetzes- und Verordnungsentwürfe, die den jährlichen Erfüllungsaufwand für die Verwaltung um rund 7 Milliarden Euro erhöhten. Das sind mehr als 60 Prozent der insgesamt – d. h. für alle Normadressaten – entstandenen Mehrbelastung.“

Der jährliche Erfüllungsaufwand für Wirtschaft und Verwaltung, so der NKR sei „in den letzten zehn Jahren gestiegen. Die Bürger hingegen wurden leicht entlastet – eine positive Bilanz, die zu einem großen Teil auf Regelungen zur Digitalisierung von Verfahren oder Verfahrensschritten zurückzuführen ist.“ Damit entsteht allerdings ein schiefes Bild, denn wir bereits festgestellt zahlen die Bürger nicht nur die Bürokratiekosten der Verwaltung ihrerseits, sondern müssen selbstredend auch die Aufwendungen der Unternehmen zu großen Teilen über höhere Preise bezahlen.

Geradezu explosionsartig angestiegen ist der Einmalaufwand. Dazu hat zuletzt allerdings vor allem die Corona-Pandemie erheblich beigetragen. Insoweit sind die Zahlen dazu hoffentlich nicht verallgemeinerungsfähig für die kommenden Jahre. Unabhängig davon ist der Gesamtaufwand mehr als beachtlich: „Insgesamt beläuft sich der einmalige Erfüllungsaufwand für die betrachteten zehn Jahre auf durchschnittlich knapp 4 Milliarden Euro pro Jahr über alle Normadressaten. In den Bestrebungen der Bundesregierung zur Kostenbegrenzung spielt er hingegen bislang eine untergeordnete Rolle – zu Unrecht: Auch hier sieht der NKR für sein kommendes Mandat – und auch für die nächste Bundesregierung – eine erhebliche Herausforderung.“

Zum Thema Digitalisierung der Verwaltung ist eigentlich in den letzten zwölf Monaten im Hinblick auf die Gesundheitsämter so ziemlich alles gesagt worden. Es ist und bleibt eines der Armutszeugnisse der Regierungszeit Dr. Angela Merkels, dass sich Ausführungen zur Digitalisierung der Verwaltung immer noch in etwa so lesen, wie Merkels Spruch vom Internet als Neuland befürchten ließ. Dass dies unter welchem Kanzler auch immer tatsächlich in der kommenden Legislaturperiode spürbar anders wird, ist erst einmal nur eine vage Hoffnung. Der NKR weist darauf hin, wie es planmäßig hätte laufen sollen: „Im Ergebnis billigten Bundestag und Bundesrat nicht nur eine Grundgesetzänderung, die eine verstärkte, Ebenen-übergreifende Kooperation in Sachen Verwaltungsdigitalisierung zuließ, sondern auch das Onlinezugangsgesetz (OZG), das ein verbindliches Umsetzungsziel festschrieb. Demnach sollen bis 2022 alle relevanten Verwaltungsleistungen flächendeckend digitalisiert und über Verwaltungsportale leicht zugänglich sein. Bis 2023 muss dies für die wichtigsten Leistungen sogar europaweit geschehen; so sieht es die Single Digital Gateway Verordnung der EU vor.“

Die Umsetzung sieht dann aber erwartungsgemäß anders aus. Zwar lobt der NKR durchaus, in keiner Legislaturperiode sei „so viel zur Digitalisierung der Verwaltung unternommen worden wie in dieser. Das OZG hat eine erhebliche Dynamik ausgelöst Der Wille und die Bereitschaft, Verwaltungsleistungen zu digitalisieren, sind mit wenigen Ausnahmen überall vorhanden. Doch leider, leider, die Realität sieht dann so aus: Zwar gehen erste Onlinelösungen an den Start, die großen Stückzahlen und vor allem die flächendeckende Umsetzung stehen aber weiterhin aus. Bisher sind 54 Leistungen aus dem OZG-Programm online. Davon sind 14 Bundes- und zwei Landesleistungen flächendeckend verfügbar.

Getreu dem alten Grundsatz, die Hoffnung sterbe zuletzt, bekennt der NKR: Trotz wachsender Skepsis hinsichtlich des Zeitplans besteht weiterhin die Hoffnung, dass das Jahr 2021 den Wechsel von der Aufwärm- in die Leistungsphase der OZG-Umsetzung markiert. Der Bund hat angekündigt, die 115 Bundesleistungen bis Ende des Jahres digitalisiert zu haben. Föderal sollen in diesem Jahr über 200 Einer-für-Alle-Leistungen (EfA) zur Nachnutzung zur Verfügung stehen.

In der Realität bleibt in all den Fällen, in denen von diesem Spruch Gebrauch gemacht wird, meist nicht mehr viel übrig. Und so klingt auch das Zwischenfazit des NKR nicht wirklich hoffnungsvoll: Zunehmend wird deutlich, dass die gegenwärtigen Governance-Strukturen zur Umsetzung des OZG sehr komplex, Abhängigkeiten groß und Schnittstellen vielfältig sind. Dies erzeugt erhebliche Orientierungs- und Koordinierungsaufwände und führt zu Unsicherheiten bei vielen Akteuren, insbesondere auf der kommunalen Ebene. Hinzu kommt die Skepsis, ob das eher planwirtschaftlich ausgerichtete EfA-Prinzip zu bedarfsgerechten, dauerhaft innovativen und wirtschaftlich angemessenen Lösungen führt. Wer starke Nerven hat, mag sich das Schaubild des NKR auf Seite 22 des Jahresberichts anschauen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie weit wir in Wahrheit von einer digitalen Verwaltung entfernt sind.

Dass eine funktionierende digitale Verwaltung nicht nur für Unternehmen, sondern auch die privaten Bürger ein Segen wäre, versteht sich eigentlich von selbst. Bemerkenswert ist aber, in welchem Umfang nach Schilderungen des NKR von Bürgern Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, weil der Prozess zu aufwendig ist. So nehmen nach seinen Angaben 60 Prozent der berechtigten Eltern oder Erziehungsberechtigte mit geringem Einkommen den „Kinderzuschlag auch aufgrund bürokratischer Hürden nicht in Anspruch“.

Wer im Übrigen noch davon träumt, ‘Made in Germany’ sei das Qualitätskriterium schlechthin in der Welt, auch für die ehedem so gelobte deutsche Verwaltung, den belehrt der NKR eines Besseren: Dieses Bild eines gut organisierten und gut regierten Landes hat sichtbare Risse bekommen. Trotz einer verhältnismäßig guten Gesamtbilanz vergangener Jahre hat die Corona-Krise – wie schon die Flüchtlingskrise zuvor – gezeigt, dass Deutschland mit strukturellen, systemischen Herausforderungen zu kämpfen hat, die nicht nur in Krisenzeiten, sondern auch im Alltag zum Problem werden. Im internationalen Vergleich bewegt sich Deutschland im Mittelfeld. Der ‘International Civil Service Effectiveness (InCiSE) Index’ setzte Deutschland im Jahr 2019 auf Platz 19 von 38 Staaten. In der Einzelkategorie ‘Crisis and Risk Management’ belegte Deutschland den letzten Platz! Noch Fragen?

Einen weiteren wichtigen Punkt spricht der Jahresbericht ebenfalls an: Die häufig fehlende ausreichende Einbindung der Betroffenen in die Umsetzung der geplanten Regelungen. Zu oft hätten Beteiligte nur wenige Tage Zeit zur Prüfung, wodurch substantiierte Stellungnahmen praktisch ausgeschlossen würden. „Dieser Befund“, so der Jahresbericht, „hat sich in den letzten Jahren verschärft Im Berichtszeitraum waren 114 Vorhaben davon betroffen – darunter politisch so bedeutsame und kostenträchtige Vorhaben wie z. B. das Gesetz für faire Verbraucherverträge, das Zweite Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme, das Gesetz zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts sowie zuletzt die Novelle des Klimaschutzgesetzes. Das verschärfte Klimaschutzgesetz wurde nach nur zwei Wochen Erarbeitungs- und Abstimmungszeit im Bundeskabinett verabschiedet! Wir ergänzen hier gerne auch die Novelle zum IHK-Gesetz, bei der die Verbände vom 14. bis 31. Dezember 2020 Stellung nehmen durften (vgl. Mi 02/21)!

Dass es bei bürger- und unternehmensfreundlicher Regulierung nicht um Hexenwerk geht, macht der NKR mit seinen Vorschlägen für eine bessere Rechtssetzung deutlich: Gute Gesetze sind einfach, verständlich und zielgenau. In der Praxis stehen Legisten und Entscheidungsträger in den Bundesministerien bei jeder Gesetzesvorbereitung vor ähnlichen Herausforderungen. Warum ist ein neues Gesetz erforderlich? Wurde vor der Novellierung eine Evaluierung durchgeführt? Kann eine im Gesetz genannte Frist auch tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden? Stehen die organisatorischen, personellen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung? Gibt es andere mögliche Regelungsalternativen, um das angestrebte Ziel einfacher, effizienter und mit geringeren Kosten zu erreichen? Es könnte so einfach sein, doch die Realität, siehe den Beginn des Textes, ist leider eine andere.

Und falls der Politik die Ideen ausgehen, wo Bürokratie effektiv abgebaut werden kann, macht der Jahresbericht konkrete Vorschläge: Ein weiteres Gesetz zur Bürokratieentlastung kam im Berichtszeitraum 2020/21 nicht zustande – trotz Ankündigung und vorhandener Vorschläge. Die Verkürzung steuerlicher Aufbewahrungsfristen, die Anhebung von Buchführungs-Schwellenwerten und Vereinfachungen im Baurecht bieten z. B. ein Milliarden-Entlastungspotenzial. Diese und andere Vorschläge könnten nach der Bundestagswahl zur Entlastung von KMU und zur weiteren Stärkung der Wirtschaft aufgegriffen werden.

Wir wagen die Prognose: Sollte es zu einer SPD-geführten Regierung kommen, werden diese Vorschläge keine Realisierung finden. Insoweit ruhen erkennbar alle Hoffnungen auf dem angekündigten Entfesselungspaket Armin Laschets, so er denn die Möglichkeit dazu bekommt.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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