Mittwoch, 18. August 2021

BVerfG erklärt Steuernachzahlungszinsen ab 2014 für verfassungswidrig

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Nicht immer kommen vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erfreuliche Nachrichten für Steuerzahler. Heute ist aber wieder so ein Tag. Die Karlsruher Verfassungshüter haben heute ihren Beschluss vom 8. Juli 2021 bekannt gegeben, mit dem sie die Zinsen, die auf Steuernachzahlungen, aber auch -erstattungen, nach der Abgabenordnung in Höhe von jährlich sechs Prozent zu zahlen sind, ab 2014 für verfassungswidrig erklären. Allerdings machen die Verfassungsrichter wieder eine unerfreuliche Einschränkung mit Rücksicht auf die Kassen der Finanzminister des Bundes und der Länder: Berücksichtigt werden muss dies seitens des Gesetzgebers erst für Zeiträume ab dem 1. Januar 2019. Für die fünf Jahre davor bleibt es bei dem festgestellten verfassungswidrigen Zustand.

Ohne hier in steuerrechtliche Details gehen zu wollen, geht es vereinfacht gesagt darum, dass es angesichts einer Nullzinspolitik der EZB und den deshalb praktisch nicht mehr vorhandenen Zinsertragsmöglichkeiten der Steuerzahler letztlich unerträglich ist, dem Staat immer noch sechs Prozent Zinsen jährlich zahlen zu müssen, soweit – aus welchen Gründen auch immer – Steuern nach Ende der fünfzehnmonatigen Karenzfrist nachträglich festgesetzt werden und deshalb ein Steuernachzahlungsanspruch besteht. In der früheren Zinslandschaft konnte man dies damit rechtfertigen, es sei nicht akzeptabel, dass Steuerpflichtige die Steuerfestsetzung verzögern, um den Betrag zwischenzeitlich lukrativ anzulegen und somit quasi Gewinne auf Kosten des Staates zu machen.

Das Gericht drückt dies in seiner Pressemitteilung so aus: Der Verzinsung der Steuernachforderungen liegt die Annahme zugrunde, dass Steuerschuldner, deren Steuer erst spät festgesetzt wird, einen fiktiven Zinsvorteil haben. Zweck der Vollverzinsung ist die Abschöpfung dieses Zinsvorteils. Die Vollverzinsung als solche ist auch geeignet, die Erreichung dieses Ziels zu fördern. Dies gilt grundsätzlich auch unter Berücksichtigung der Höhe des Zinssatzes, da jedenfalls bis in das Jahr 2014 noch regelmäßig Habenzinsen erzielt werden konnten.“ Dieser Möglichkeit hat die Negativzinspolitik der EZB jedoch seit Jahren den Boden entzogen.

Hinzu kommt, dass in der Vielzahl der Fälle die Steuerzahler selbst gar keinen Einfluss darauf haben, wann die Steuern festgesetzt werden. Das Gericht selbst bezeichnet als bedeutendsten Fall die geänderte Steuerfestsetzung nach einer Außenprüfung. Hier liegt es schon gar nicht mehr im Bereich des Steuerpflichtigen, wie lange sich dieser Zeitraum hinzieht. Je länger er jedoch dauert, umso teurer wird dies für den Steuerzahler und umso lukrativer für den Staat.

Das BVerfG erklärt, sowohl die Auswahl der Steuerzahler, die Zinsen zahlen müssen, als auch die Höhe der Zinsen müssten sich am Gleichheitssatz messen lassen. Dass die Zinshöhe seit Jahren nicht mehr zur Zinslandschaft passt, war allen, die sich redlich damit beschäftigt haben, bekannt, nur den Gesetzgeber hat es nicht gestört. Er ließ die Höhe der Zinsen seit 1990 (!) unverändert (tatsächlich wurde der Zinssatz sogar schon 1977 für Teilverzinsungen in dieser Höhe angewandt). Um zu belegen, wie abgezockt dies ist, reicht eine kleine Passage der Urteilsbegründung: Nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich ein strukturelles Niedrigzinsniveau entwickelt, das nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen ist. Dies zeigt sich zunächst in der Entwicklung des Basiszinssatzes. Während er im Jahr 2008 noch bei über 3 % lag, sank er im Laufe des Jahres 2009 rapide auf 0,12 %. Seit Januar 2013 liegt er im negativen Bereich.“ Das Gericht bezeichnet die Zinshöhe spätestens seit dem Jahr 2014 als evident realitätsfern“.

Die einzige Erklärung für die nicht vorgenommen Anpassung der Zinshöhe durch den Gesetzgeber ist die Tatsache, dass der Staat seit Jahren opulente Zinserträge mit den Nachzahlungen erhält (nach Angaben der Bundesregierung zwischen 2009 und 2017 zwischen 2,9 und 4,1 Milliarden Euro, denen Ausgaben für Erstattungszinsen zwischen 2 und 3 Milliarden Euro gegenüberstanden). Um die ganze Arroganz des gesetzgeberischen Verhaltens zu verstehen, muss noch ein Aspekt erwähnt werden: Steuerzahler müssen die erhaltenen Steuererstattungszinsen versteuern, sie dürfen aber selbst zu zahlenden Steuernachzahlungszinsen nicht als Werbungs- oder Betriebsausgaben geltend machen!

Insofern ist es mehr als überfällig, dass das BVerfG dieser Praxis nunmehr einen Riegel vorgeschoben hat. Unverständlich bleibt allerdings, warum es so lange gedauert hat und warum es wieder einmal für die Vergangenheit verfassungswidrige Zustände mit Blick auf öffentliche Haushaltskassen hinnimmt. Schließlich hätten es die öffentlichen Kassenwarte in der Hand gehabt, die Zinsen längst der realen Entwicklung anzupassen. So aber sah sich das Gericht veranlasst, den Gesetzgeber lediglich aufzufordern, eine Neuregelung bis zum 31. Juli 2022 zu treffen, die sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 erstreckt und alle noch nicht bestandskräftigen Hoheitsakte erfasst“.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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