Montag, 09. August 2021

„Wie die Mahner in der Wüste …“

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Wenn sich namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft aus gegebenem Anlass zur Publikation eines offenen Briefes zusammenfinden, sollte man eigentlich das Interesse von Politik, Medien und Öffentlichkeit voraussetzen dürfen. Dies ist jedoch offenbar nicht der Fall, wenn es um gerade im Wahlkampf 'störende' Wahrheiten wie die zunehmend unverantwortliche Geldpolitik der EZB oder um unwillkommene Forderungen an die neue Bundesregierung geht.

Transferunion

In einem offenen Brief haben 15 namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vor den langfristigen Risiken der ultraexpansiven EZB-Geldpolitik gewarnt. Zu den Initiatoren gehören Edmund Stoiber, Peer Steinbrück, Hans-Werner Sinn und Wolfgang Reitzle. Der Geldüberhang erzeugt – nach Meinung der Autoren – erhebliches Inflationspotenzial und gefährdet die langfristige Finanzstabilität. Außerdem werde die Illusion geweckt, dass die Euro-Länder auch ohne wachstumsstärkende Reformen steigende Staatsausgaben dauerhaft zu Null- und Negativzinsen finanzieren könnten. Beanstandet wird, dass die EZB die Mitgliedsländer bereits als Eigentümer der nationalen Zentralbanken in die Haftung für unbegrenzte Garantieversprechen genommen und von den Regierungen immer weiterführende Schritte in eine Transferunion gefordert habe.

Bruch der EU-Regeln

Wörtlich heißt es in dem offenen Brief weiter: „Zur Bewältigung der massiven wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie haben die Mitgliedstaaten zwischenzeitlich einen riesigen Nebenhaushalt mit gesamtschuldnerischer Haftung (‚Europäischer Wiederaufbaufonds‘) beschlossen, der sich aus Zuschüssen und Krediten zusammensetzt. Einige Mitgliedstaaten sehen darin die Gelegenheit, ihre bei Beginn der Währungsunion nicht durchsetzbaren Forderungen nach gemeinschaftlicher Haftung und umfassenden Transfersystemen voranzutreiben und den für Notsituationen geschaffenen Europäischen Stabilitätsmechanismus zu übergehen.“ Das Handeln der EZB erwecke den Eindruck, die Eurozone könne nur durch den Bruch der von den Mitgliedstaaten selbst formulierten Regeln (z. B. Maastricht-Kriterien, No-Bail-Out, Verbot der monetären Staatsfinanzierung) aufrechterhalten werden. Um die Eurozone zukunftsfähig zu gestalten, sei jedoch ein funktionierendes regelbasiertes, kontrollier- und sanktionierbares Regelwerk notwendig. Zielsetzung müsse sein, die Wettbewerbsfähigkeit aller Mitgliedstaaten zu erhöhen, um sich gemeinsam und ökonomisch erfolgreich den wirtschaftlichen, aber auch geopolitischen Herausforderungen zu stellen. Nur so könne die Fortsetzung des europäischen Integrationsprozesses weiterhin erfolgreich bleiben.

Bei einer dauerhaften Fortführung der ultralockeren Geldpolitik sei mittelfristig mit folgenden sechs massiven Gefahren zu rechnen:

  • zunehmende Inflation
  • strukturelle Wachstumsschwäche
  • Aushebelung der Sozialen Marktwirtschaft
  • finanzielle Überdehnung der Staaten
  • Schwächung des europäischen Bankensystems
  • Gefährdung der Europäischen Union durch gemeinsame Schuldenaufnahme

Appell an Regierung und EZB

Als Königsweg sehen die Autoren nur die baldige Rückkehr zu einer soliden, nachhaltigen finanz- und marktwirtschaftlichen Wachstumspolitik. In diesem Sinne fixiert der offene Brief die nachfolgenden Forderungen an die neue Bundesregierung:

  •  schrittweise Rückführung der Neuverschuldung und Einhaltung der verfassungsmäßigen Schuldenbremse
  • Umsetzung einer nationalen Wachstumsstrategie
  • Einhaltung der Europäischen Verträge (insbesondere „No-Bail-out-Klausel“) und des Verbots der monetären Staatsfinanzierung
  • Beschränkung des Europäischen Wiederaufbaufonds einmalig auf die Überwindung der Corona-Krise
  • Einforderung einer Reformagenda zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auch von den anderen Staaten der Eurozone
  • Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes mit dem Ziel einer höheren Effizienz und Transparenz der Gesamtverschuldung

Auch die EZB nehmen die Verfasser aus gegebenem Anlass kritisch ins Visier. Konkret gefordert werden die Konzentration auf Preisstabilität als Kernaufgabe, keine Bevorzugung bestimmter hochverschuldeter Länder beim Ankauf von Staatsanleihen, die regelmäßige Wahrnehmung der vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Verzicht auf die bevorzugte Behandlung „grüner“ Unternehmensanleihen. Die Bewältigung des Klimawandels sei Sache der demokratisch legitimierten Politik, nicht aber der EZB.

Ohne Reaktion

Dieser offene Brief, der die Sorgen um die Zukunft der europäischen Idee aus der Sicht von ebenso kompetenten wie prominenten Persönlichkeiten unseres Landes widerspiegelt, ist im Mai 2021 veröffentlicht worden. Wegen der generationsübergreifenden, historischen Bedeutung dieses Appells hätte man eigentlich eine flächendeckende, prioritäre Berichterstattung in den Medien mit entsprechend hoher Wahrnehmung in der Öffentlichkeit erwarten dürfen. Die unbegreifliche Realität sah anders aus. Für die meisten, darunter auch die öffentlich-rechtlichen Medien, war diese Wortmeldung gar kein Thema. In einigen Zeitungen erschienen Kurzmeldungen. Vollständig publiziert worden ist der offene Brief nur von ganz wenigen Redaktionen. Und die eigentlichen Adressaten, also die Bundesregierung und die EZB, bestraften diese offenbar unwillkommene „Einmischung“  mit demonstrativer Nichtbeachtung. Konkrete Reaktionen aus Berlin und Frankfurt, die zumindest die Zurkenntnisnahme der politischen Botschaften bestätigt hätten, sind nicht bekannt geworden. Gerade in Wahlkampfzeiten ist die Wahrheit offenbar unerwünscht.

Wahlversprechen

So warb die CDU im Bundestagswahlkampf 1998 für die Euro-Einführung. Die rhetorische Frage „Muss Deutschland für die Schulden anderer Länder aufkommen?“ wurde folgendermaßen beantwortet: „Ein ganz klares Nein! Der Maastrichter Vertrag verbietet ausdrücklich, dass die Europäische Union oder die anderen EU-Partner für die Schulden eines Mitgliedstaates haften. Mit den Stabilitätskriterien des Vertrags und dem Stabilitätspakt wird von vornherein sichergestellt, dass die Nettoneuverschuldung auf unter 3 % des Bruttoinlandsprodukts begrenzt wird. Die Euro-Teilnehmerstaaten werden daher auf Dauer ohne Probleme ihren Schuldendienst leisten können. Eine Überschuldung eines Euro-Teilnehmerstaats kann daher von vornherein ausgeschlossen werden.“ Die 'Bild'-Zeitung kommentierte schon 2015 in einem kritischen Rückblick: „So werden deutsche Wähler verschaukelt“.


Hier finden Sie den Offenen Brief im Original:

https://www.hanswernersinn.de/de/fuer-ein-ende-der-schuldenpolitik-sz-12052021

Der Unternehmer Dietrich W. Thielenhaus  kommentiert aktuelle Entwicklungen in Politik und Wirtschaft.


Verfasst von: Dietrich W. Thielenhaus | Kommentare (0)

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