Wer glaubte, dass sich die Union im Wahlkampf darauf konzentrieren würde, den politschen Gegner aufs Korn zu nehmen, liegt daneben. Die Wahlkampfstrategie im 'Superwahljahr 2021' scheint nicht auf das sonst übliche (Wir-sind-)Gut-(Ihr-seid-)Böse-Spiel festgelegt zu sein. Die Parteiprogramme der Unionsflügel CDU und CSU sind bestens anschlussfähig oder auffallend kurz ausgefallen. Damit tut man niemandem unnötig weh, nicht einmal dem Wähler. Darüber jedenfalls scheinen sich die beiden Hauptprotagonisten Armin Laschet und Markus Söder zumindest ein einem einig zu sein. Wofür Olaf Scholz ernsthaft kritisieren? Vielleicht braucht man ihn und seine Genossen noch, es reicht jedenfalls, die SPD sich selbst zu überlassen. Annalena Baerbock attackieren? Auch das scheint keinen Sinn zu machen, sie bringt sich ohnehin permanent selbst in Schwierigkeiten. Selbst Christian Lindner, der nach der Jamaika-Verweigerung 2017 das größte Interesse an einer Regierungsbeteiligung haben müsste, musste ebensowenig öffentlich zur Maßregelung aufgefordert werden, 'seine' FDP bzw. besonders seinen Stellvertreter bei Corona-Maßnahmen-Abstimmungen im Bundestag auf Linie zu bringen. Warum auch, es hat ja durch die Grünen auch so immer für eine Mehrheit pro Fortsetzung der Programme gereicht. Wahlkampf früher sah anders aus.
Der eigentliche Fight spielt sich woanders ab, da wo man es normalerweise weniger erwarten würde, nämlich zwischen dem Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet, und dem in dieser Vorabauswahl Unterlegenen, Markus Söder. Letzterer scheint die vereinbarte Hackordnung keinesfalls als den finalen Stand der Dinge anzusehen. Was sich nun stattdessen abspielt, ist ein beispielloser Intrigantenstadl aus München, um den auserkorenen Kanzlerkandiaten offenbar auf den letzten Metern aus dem Sattel zu heben. Kein Tag vergeht, an dem Söder Laschet nicht vorführt und damit als Schwächling darstellt, der Laschet als Landeschef Nordrhein-Westfalens ganz sicher nicht ist. Was ist und was scheint, können ganz unterschiedliche Betrachtungsweisen sein.
Die Frage nach dem Warum ist beantwortet: Söder hält sich klar für den Besseren. Was Markus Söder möglicherweise unterschätzt hat ist, dass er, neben der stilistischen und moralischen Frage fortwährender Attacken in den Rücken seines 'Parteifreudes', nicht nur diesem schadet, das ist ja gewollt, sondern auch dem Ansehen beider Unionsparteien und schlimmstenfalls sogar seinen eigenen Ambitionen. Die Festlegung der Union darauf, Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten auszurufen, wird von den Gremien kaum mehr rückgängig gemacht werden. Die CDU-Führung wäre in einem solchen Fall desavouiert, denn es sähe so aus, als hätten sie sich seinerzeit für den falschen Kandiaten entschieden, zumal Söder damals schon ohne jede Reue betonte, wer der in seinen Augen Geignetere war.
Trotz einiger Gegner Laschets würde die CDU-Spitze eine solche Demontage ihres Kandidaten und den Gesichtsverlust kaum einfach so hinnehmen. In Anbetracht einer Situation, die auf der einen Seite einen durch die Angriffe Söders zu arg ramponierten Armin Laschet zeigt, der im schlimmsten Fall viele Parteifunktionäre und -abgeordnete um Geld und Würden bringt, und auf der anderen Seite einen extrem machthungrigen und teils rücksichtslos sich gebenden Möchtegernbundeskanzler, der nicht einmal in der Schwesterpartei Gefangene zu machen scheint, könnte es noch vor der Wahl, oder kurz darauf, zu einem fatalen Vorschlag kommen, mit dem derzeit niemand rechnet - zugusten einer 'lachenden' dritten Person. Damit ist nicht Friedrich Merz gemeint. Eine solche Rolle könnte eigentlich nur Angela Merkel einnehmen, auch wenn es im Moment etwas merkwürdig klingt.
Man müsste sie nur um die Fortsetzung ihrer Kanzlerschaft inständig bitten, den schweren Zeiten wegen und in großer Not. Zelebriert als persönliches, öffentliches Opfer, inmitten einer Parteienkrise und der vierten oder fünften Coronawelle, könnte sie kaum Nein sagen. Ein perfektes Setting für eine Wiederauferstehung der schon im Rentendasein vermuteten Ex-Kanzlerin. Selbige könnte genau darauf die ganze Zeit gewartet haben, vielleicht sogar mit Annalena Baerbock als Vizekanzlerin. Markus Söder, der für die CDU inzwischen eher eine Gefahr darstellen könnte, wäre dann jedenfalls der Gelackte.
https://www.nzz.ch/deutschland/international/der-unbeherrschte-markus-soeder-schadet-der-union-ld.1638597
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