Mittwoch, 14. Juli 2021

HDE: „Es darf nicht zu einem weiteren Lockdown kommen“

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Für den Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, steht als ultimative Forderung an die Politik im Umgang mit Corona fest: „Es darf nicht zu einem weiteren Lockdown kommen.“ Denn zum einen sei der Handel kein Infektionstreiber, im Gegenteil, er habe sehr gute Hygienekonzepte, und zum andern würden viele Betriebe dies wirtschaftlich nicht verkraftet. Dabei, auch das gehört zur ganzen Wahrheit, ist die wirtschaftliche Situation im Handel inzwischen branchenspezifisch extrem unterschiedlich.

Während beispielsweise der Lebensmitteleinzelhandel von der Pandemie profitiert hat (zu keinem Zeitpunkt waren Lebensmittelgeschäfte geschlossen, es gab Mehrumsätze aufgrund der Einschränkungen der Gastronomie), hat insbesondere der innerstädtische Textileinzelhandel bis heute mit massiven Umsatzeinbrüchen zu kämpfen. Auch dafür gibt es unterschiedliche Gründe. So haben insbesondere die großen stationären Textilgeschäfte in den Innenstädten unter dem massiven Rückgang der Passanten dort gelitten. Diese Umsatzausfälle lassen sich auch nicht durch verstärkte Onlineaktivitäten ausgleichen, schon gar nicht mit gleicher Rendite. Für diese Betriebe kam schon der Lockdown light im November 2020 nach Auffassung des HDE einem harten Lockdown gleich, da sich kaum Passanten aufgrund der geschlossenen Gastronomie und der übrigen widrigen Umstände in den Innenstädten verloren. Entsprechend sehen die Umsatzzahlen aus.

Im gesamten Einzelhandel gab es ab Mitte Dezember 2020 bis Anfang Februar 2021 Umsatzrückgänge von teilweise über 80 Prozent. Seit den Geschäftsöffnungen im Juni normalisiert sich die Geschäftslage wieder. Sie ist aber für etliche Branchen unverändert sehr angespannt. So gingen die Umsätze zwischen Januar und April 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum im Bekleidungsfachhandel real um 48 Prozent zurück, bei Unterhaltungselektronik um 22 Prozent, Spielwaren büßten 20 Prozent ein und der Bereich Uhren/Schmuck 14 Prozent. Eindeutiger Gewinner in diesem Zeitraum war der Internethandel mit +31 Prozent. Zulegen konnte auch der Fahrradhandel (+14 Prozent) und der Lebensmittelhandel (+2 Prozent).

Ähnlich sieht das Bild beim Halbjahresvergleich 2021 gegenüber 2020 (ebenfalls ein Pandemie-Jahr) aus. Bei der HDE-Konjunkturumfrage gaben 59 Prozent der Lebensmittelhändler an, ihre Umsätze gesteigert zu haben. Nur bei 17 Prozent der Bekleidungshändler war dies der Fall. 16 Prozent der Innenstadthändler insgesamt verzeichneten Umsatzzuwächse, 19 Prozent der Fachgeschäfte und 29 Prozent des gesamten Handels. Besser sieht es bei den Geschäftserwartungen für das zweite Halbjahr aus. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage erwarten beispielsweise 49 Prozent der Bekleidungsgeschäfte für diesen Zeitraum Umsatzzuwächse. Für 44 Prozent der Innenstadthändler trifft dies zu und für 36 Prozent aller Fachgeschäfte.

Dies alles wird sich allerdings nur realisieren lassen, sofern es nicht zu einer massiven vierten Corona-Welle und erneuten Einschränkungen bei der Zugänglichkeit der Geschäfte kommt. Daher die deutliche Ansage Genths, es dürfe auf keinen Fall zu einem nochmaligen Lockdown kommen. Noch eine Zahl mag dies verdeutlichen: Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 wird der stationäre Bekleidungshandel voraussichtlich Ende 2021 immer noch 37 Prozent weniger Umsatz verzeichnen. Zudem sei die Eigenkapitalsituation vieler Händler sehr angespannt, da insbesondere größere Unternehmen lediglich ein Drittel der ihnen entstandenen Kosten während der Pandemie ersetzt bekommen hätten.

Auf der Sonnenseite befinden sich dagegen die Onlineumsätze. Nach den Prognosen des HDE (in einem mittleren Szenario ohne erneut hohe Inzidenzen) wird er Ende des Jahres auf ein Umsatzvolumen (ohne Umsatzsteuer) von 87,1 Milliarden Euro kommen. Dies entspricht einer Steigerung gegenüber 2020 von 19,6 Prozent. Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, dass Genth davon sprach, der Handel habe sich während der Pandemie verändert. Er sei digitaler geworden und er werde digitaler bleiben. Inzwischen betrügen die Onlineumsätze mancher Branchen bereits 50 Prozent. Deshalb bekommen die diversen Aktivitäten zur Rettung der Innenstädte besonderes Gewicht. In diesem Kontext fällt auf, dass gleichwohl zunehmend stärkere Restriktionen des innerstädtischen Individualverkehrs, soweit er das Auto betrifft, vollzogen werden. So planen erste Städte Tempo 30 auch auf Durchgangsstraßen und den Wegfall von Parkflächen zugunsten der Nutzung der Flächen durch Radfahrer und Fußgänger.

Dies ist bemerkenswert, weil selbst nach den Zahlen der öffentlichen Verkehrsunternehmen die Nutzung des Autos stark zu, die des ÖPNV stark abgenommen hat. Und nach deren eigenen Prognosen wird sich an diesem Trend auch absehbar nichts ändern. Hier wird Politik offensichtlich gegen die Interessen der Bürger gemacht. Prof. Christoph Mäckler, renommierter Frankfurter Architekt und Städteplaner, betonte beispielsweise auf der Ruhrkonferenz Innenstadt: „Wir brauchen mehr Parks und mehr Grün. Und eine Stadt braucht Verkehr. Straßen dienen nicht nur zum Laufen und Kaufen. Sie müssen auch für Radfahrer und Autos da sein.“

Das wollen allerdings viele Städteplaner nicht hören. Wir wollten daher von Genth wissen, wie der HDE zu diesen Plänen steht. Für ihn sind sie sehr kritisch zu bewerten und in ihrer Massivität abzulehnen. „Wir fühlen uns teilweise auf die Diskussionen vor 20 Jahren zurückgeworfen“, stellt er dazu fest. Die Innenstädte müssten für alle erreichbar sein, und zwar mit allen Verkehrsmitteln. „Selbstverständlich hat das möglichst klimafreundlich zu erfolgen, beispielsweise durch Elektromobilität, aber Innenstädte für den automobilen Individualverkehr abzuriegeln, wäre der falsche Weg.“ Gerade auch Zentren mit einem großen Einzugsgebiet seien darauf angewiesen, dass alle Kunden mit dem von ihnen präferierten Verkehrsmittel die Innenstädte erreichen könnten. Das mache der HDE auch in allen Gesprächen mit Politikern deutlich, auch im Austausch mit Bündnis 90/Die Grünen. Fragt sich nur, ob die jeweiligen Gesprächspartner das auch annehmen.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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