Montag, 28. Juni 2021

Winfried Kretschmanns Liebe zu einem neuen Pandemieregime

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Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat vergangene Woche Annalena Baerbocks Kanzlerambitionen einen weiteren massiven Dämpfer verpasst. Diesmal ‘patzte’ nicht die Kandidaten selbst, sondern es war der einzige Ministerpräsident, den die Grünen bisher stellen. Ausgerechnet er schlug gegenüber der Stuttgarter Zeitung in einem Interview vor, für die Pandemie ein eigenes Rechtsregime zu schaffen.

Als wäre der Vorschlag an sich nicht schon ein Schlag ins Gesicht eines jeden, dem noch irgendetwas an Bürgerfreiheiten auch in der Pandemie liegt, war die Begründung noch verräterischer: Von Beginn an haben uns die Gerichte viele Instrumente gegen die Pandemie aus der Hand genommen, weil sie gesagt haben, diese seien nicht verhältnismäßig gegenüber dem Bürger. Ich will das nicht kritisieren, denn das gehört zum Grundbestand des demokratischen Rechtsstaats. Aber man sollte auch fragen, welche Maßnahmen verhältnismäßig gegenüber dem Virus sind? Da sind bisher die Maßstäbe der Regierungen anders als bei den Gerichten.

Im Klartext: Unverhältnismäßige Entscheidungen der Politik oder der Behörden sollen vorab gesetzlich für zulässig erklärt werden. Und jede ahnt, wie lange nach Schaffung dieser neuen Möglichkeiten dann offiziell die Pandemie dauern würde. Ganz offen schilderte Kretschmann die ‘Vorteile’ für die Regierenden aus seiner Sicht so: „Wenn wir frühzeitige Maßnahmen gegen die Pandemie ergreifen können, die sehr hart und womöglich zu diesem Zeitpunkt nicht verhältnismäßig gegenüber den Bürgern sind, dann könnten wir eine Pandemie schnell in die Knie zwingen. Dann müssen wir nicht monatelang und in Wellen immer wieder neue Grundrechtseinschränkungen vornehmen – mit erheblichen Kollateralschäden wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und psychologischer Art.“

Als gäbe es nur diese beiden Varianten! Wie wäre es, wenn sich Kretschmann und seine Kollegen einfach mal darum kümmern würden, klare Pläne für verhältnismäßige Maßnahmen aufzustellen? Vorliegende Untersuchungen über die Verbreitung des Virus auszuwerten oder selbst neue in Auftrag zu geben? Dann hätte man auch in der Vergangenheit wahrscheinlich die meiste Zeit keine Läden komplett schließen müssen, keine Freiluftveranstaltungen vollständig untersagen müssen. Tröstlich an diesen Anwandlungen bleibt allein, dass Kretschmann selbst erkannt hat, dafür müsse man „möglicherweise das Grundgesetz ändern“.

Um es ganz deutlich zu sagen: Ja, das müsste man! Wiederum irritierend erklärte Kretschmann in dem Interview, er gehe davon aus, es gebe für eine solche Grundgesetzänderung eine Mehrheit: „Ich glaube schon. Denn jeder muss sich die Frage stellen, was auf Dauer mehr Einschränkungen und Schäden verursacht: ein kurzer harter Einschnitt, der schnell wieder vorbei ist, oder ein immer wiederkehrender Lockdown. Auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist ja ein Grundrecht. Im November vergangenen Jahres zum Beispiel hat die Politik den sanfteren Weg gewählt, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, doch leider führte der pandemisch nicht zum Ziel.

Wir geben die Hoffnung dafür noch nicht auf, dass es für derartige Pläne keine Mehrheit in der Bevölkerung gibt. Was Kretschmann, und damit indirekt auch Annalena Baerbock, vollständig ins Abseits stellt, ist seine Reaktion auf die Kritik, die diese Forderungen bei allen anderen Parteien hervorgerufen hat. Keine 24 Stunden später will er alles nicht so gemeint haben. Alles sei ein Missverständnis: „Im Rechtsstaat gilt immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – und zwar immer und ohne Einschränkung.“ Dieses zentrale Prinzip der Verfassung würde er nie infrage stellen. „Umso mehr ärgert es mich, dass durch meine Äußerungen offenbar dieser Eindruck entstanden ist.“ Wer will ihm das angesichts der zitierten Äußerungen abnehmen? Er hat es nicht irgendwie im Eifer des Geschäfts auf irgendeiner Veranstaltung gesagt, sondern in einem Interview, das gleich drei Redakteure der Stuttgarter Zeitung mit ihm geführt haben. Ein solches Interview entsteht nicht einfach so. Und die Aussagen waren nicht missverständlich, sondern eindeutig.

Bisher glaubten die Grünen, Kretschmann zu große Nähe zur baden-württembergischen Autoindustrie könne ihnen schaden. Jetzt wissen sie, dass es noch ein ganz anderes Feld gibt.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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