Dienstag, 29. Juni 2021

Schwarz-weiß-Denke in krass bunt: Bundeskartellamt veröffentlicht Jahresbericht 2020/2021

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Nicht alles, was bunt ist, ist gut. Das ist wirklich schade. Aber es gibt auf der Welt halt nicht nur Regenbogenkapitänsbinden. Sondern auch Bundeskartellamtsjahresberichte. Warum existieren die eigentlich? Also die Jahresberichte, nicht die Kapitänsbinden? Das ist schwer zu sagen. Von Gesetzes wegen muss das Bundeskartellamt alle zwei Jahre einen Tätigkeitsnachweis bei der Bundesregierung abliefern. Die gibt diesen, mit ihren Kommentaren versehen, weiter an den Deutschen Bundestag. Heraus kommt ein Tätigkeitsbericht (aktuell 2019/2020) in Form einer mehrhundertseitigen Bundestagsdrucksache. Eine Fleißarbeit. Die hat typischerweise den Charme einer bloß für Spezialisten verständlichen Dissertation. Nicht sexy. Und da liegt die Erklärung: Mit dem am 23. Juni vorgestellten Jahresbericht 2020/2021 setzt das Bundeskartellamt eine vor knapp 10 Jahren begonnene Tradition der Selbstinszenierung fort.

Darf die Behörde das? Wenn Sie mich persönlich fragen: Nein. In den gesetzlich vorgesehenen Tätigkeitsberichten wird nüchtern erklärt, was das Amt macht und was die Bundesregierung davon hält. Das liest nicht jeder, klar. Es hat aber eine demokratische Kontrollfunktion. Aufgabe der Bundesregierung ist es nun mal nicht, Grußworte für Behörden zu verfassen (Seite 4 des Jahresberichts), sondern Hebel anzusetzen, um dafür zu sorgen, dass dort die Dinge nicht aus dem Ruder laufen (§ 52 GWB). Leider tun sie das. Hier drei Beispiele:

  1. Um bei der Selbst-Inszenierung zu bleiben: Seit dem Jubel-  sorry Jahresbericht 2018 freut sich das Bundeskartellamt über die Unterstützung eines „Kartell-Man“. Das mit dem Bundesadler geadelte Heldenfilmchen soll zeigen, „wie wichtig Wettbewerb für den Verbraucher ist. In Wahrheit zeigt es, wie verkorkst das Bild der deutschen Wettbewerbshüter vom Wettbewerb ist. Um es freundlich auszudrücken. Klar, so ein Film soll humorig wirken, sonst schaut ihn sich keiner an.  Aber warum macht man, um eine absurde Absprache über den Preis von Speiseeis zu veranschaulichen, Unternehmer zu Mafia-Bossen? Sorry, falsche Frage. Habe ich auch gerade gemerkt. Man braucht sie genau deshalb.

    Die Visagen müssen klischeehaft fies sein, um die Absurdität der Story zu überdecken. Nun ist der Humor des Kartellamts die eine Sache. Die andere ist: Was sagt dieses Bild über den Respekt aus, den der Staat vor Unternehmern hat? Glaubt das Amt am Ende selbst an die Mafia-Fratze, die es dem Unternehmertum aufsetzt? Ich glaube eher: Nein. Vermutlich haben die Verantwortlichen nicht lange nachgedacht, sondern sich kurz amüsiert und sind dann zur Tagesordnung – sprich: Kartellverfolgung – übergegangen. Aber auch abgesehen von der Verhonepipelung eines Handwerks samt Menschen, die dahinter stehen, ist der Scherz nicht harmlos. Er drückt mehr als eine Schwarz-Weiß-Denke aus. Schließlich wurde das Filmchen in krass bunt gedreht. Das ist, als würde jemand Zuckerguss über Zement auskippen.

    Ein Schema, das den Jahresbericht 2020/2021 durchzieht. Betrachten Sie nur die lustig-bunten Sonnenschirmchen auf Seite 24! Die sollen die Vielfalt im Wettbewerb symbolisieren. Merken Sie was? Genau, die kommen alle vom gleichen Hersteller! LOL. Ich tippe auf die Ich-mach-mir-die-Welt-bunt-AG. Kennen Sie nicht? Deren Produkte sind beim Modellier-Discounter erhältlich. Die Geschäftsidee ist simpel: Maximal penetrante Werbung, damit kein Zweifel an der Botschaft bleibt.
     
  2. Und da wären wir bei den Inhalten. Die kommen erst jetzt, sorry, weil man sie nicht versteht, ohne den Modellier-Discounter zu kennen. Der ist schuld daran, dass wir mit der 10. GWB-Novelle eine gesetzliche Grundlage für die Kronzeugenregelung im Kartellrecht bekommen haben. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären, dass der Deutsche Bundestag sich derart hat übertölpeln lassen. Oder bin ich einfach zu alt? Ich kann mich schließlich nicht nur an echte (!) Tante-Emma-Läden erinnern (sie hieß Frau Wüst und war die Sanftmut in Person), sondern auch an die ersten Diskussionen zur Kronzeugenregelung im Deutschen Bundestag.

    Manchmal kommt es mir so vor, als wäre ich der einzige, der noch die Ära Kohl politisch erlebt hat. Aber egal. Damals hieß es jedenfalls, man müsse organisierte Schwerstkriminelle, die ihre Kapitalverbrechen in hermetisch abgeschotteten Räumen verabreden, mit außergewöhnlichen Methoden bekämpfen. Es gab eine heftige Diskussion. Ich empfehle die Rückschau jedem, der liberal denkt: Darf der Staat sich mit Kapitalverbrechern gemein machen, indem er ihnen, wenn sie ihre Kumpane verpfeifen, Vorteile gewährt? Damals hieß die Antwort: In äußerst engen Grenzen ja. Es ging um schwer staatsgefährdende und terroristische Umtriebe, und es wurde eine zeitliche Begrenzung eingeführt. Die Hoffnung war, der Staat würde die Situation nach Ablauf der Befristung so weit im Griff haben, dass er auf die halbseidenen Mittel verzichten kann.

    Und heute? Haben wir nicht nur die Befristung abgeschafft, sondern auch die Staatsgefährdung. Ja, wir brauchen nicht einmal mehr eine Straftat! Geschweige denn ein Kapitalverbrechen. Es schmerzt ein wenig, aber ich komme nicht darum herum festzustellen, dass die Bundesrepublik in diesem prozessualen Punkt noch nie so niedrig von sich selbst gedacht hat wie heute. Und der Bundeswirtschaftsminister? Freut sich über die Tatkraft der Behörde, die ihre Windhundrennen nun nicht mehr para- oder illegal, sondern offiziell unter seiner Ägide durchführt. An Vorgaben, das Kartellamt möge Hilfen für Unternehmen aufstellen, mit denen sich erlaubte Partnerschaften von unrechtmäßigen Absprachen abgrenzen lassen, denkt er nicht. Es ist eine merkwürdige Welt, in der konservative Politiker die Äste von Bäumen absägen, für deren Erhaltung sie sich (haben) wählen lassen.
     
  3. Und weil wir beim Gegen-den-Strich-Bürsten sind, muss ich noch kurz die Digitalisierung ansprechen. Auch hier sehen wir ein titanisches Ringen. Das Bundeskartellamt legt sich ohne Furcht mit den allergrößten Plattformen an. GoogleAmazonFacebook, allesamt bekommen sie von der Bonner Behörde die Leviten gelesen. So liest sich jedenfalls der Jahresbericht. Dass man es anders sehen kann, versteht sich von selbst. Mir geht es hier aber nicht um die Fachdiskussion. Die können wir gerne führen. Sagen Sie mir wann und wo, ich bin dabei.

    Aber, und das muss man bei aller Begeisterung für das Portfolio von Sanktionsinstrumenten auch einmal sagen: Besser als die dogmatisch fundierte Zufügung von Schmerzen wäre es, wenn wir uns leisten könnten, auf die Inquisition zu verzichten. Oder, um es bescheidener zu formulieren, sie einzudämmen. Sagen wir auf ein Level, das die Verbrennung, Vierteilung und das Rädern wirtschaftlicher Akteure ins Schreckenskabinett verbannt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Marc Zuckerbergs größte Furcht sind nicht die Folterknechte vom Bundeskartellamt. Er kann sich eine Armada bezahlter Aufklärer leisten, zusätzlich assistiert ihm ein Heer an Programmierern. Aber was ist mit dem deutschen Mittelstand?

    Kennen Sie „Own the Game“? Das ist die neue Marketingstrategie von adidas. Denglischer Schönsprech. Die Wirklichkeit ist profan: adidas bootet die eigenen Fachhändler aus. Die durften die Marke über Jahrzehnte aufbauen. Jetzt werden sie reihenweise rausgeworfen. Wie kommt adidas zu diesem unsportlichen Verhalten? Die Antwort liegt in Bonn. Erinnern Sie sich noch an die Pilotverfahren in Sachen Internet-Vertrieb? Das Bundeskartellamt hielt nibelungentreu zu Amazon. Stationäre Fachhändler mussten illusorische Vorgaben erfüllen, Internet-Preisverramschern wurde der rote Teppich ausgerollt. Erst der Europäische Gerichtshof rollte ihn wieder ein. Aber die Bestätigung, dass der Verkauf über Amazon von einem Markenhersteller nicht toleriert werden muss, kam zu spät.

    Da hatte adidas den Propaganda-Kampf längst verloren. Böse ist, wer die Preise in einem vernünftigen Rahmen hält. Die Botschaft wurde im Modellier-Discounter so einleuchtend präsentiert, dass den Markenherstellern wenig anderes übrigblieb, als selbst den Vertrieb in die Hände zu nehmen. Das Internet macht es möglich. Es ist deshalb kein gutes Omen, wenn das Bundeskartellamt sich jetzt noch intensiver mit den großen Plattformen beschäftigt. Man muss kein Prophet sein, um zu argwöhnen, dass die Kollateralschäden gewaltig sein werden. Die Konzentration in der Wirtschaft wird weiter wachsen. Anschließend zeigt uns die Behörde bunte Bildchen. Ein schwacher Trost.

Und das Resümee? Tja. Wenn ich allen frühsommerlichen Optimismus zusammen nehme, lautet mein Appell: Es lebe die Diskontinuität! Es ist gut, wenn der Deutsche Bundestag, der die GWB-Verschlimmbesserung beschlossen hat, bald durch einen neuen abgelöst wird, der es hoffentlich – und das ist jetzt wirklich optimistisch gedacht – bald besser macht.

Gregor Kuntze-Kaufhold ist Justiziar der markt intern-Verlag GmbH


Verfasst von: markt-intern Verlag | Kommentare (0)

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