SIGNAL IDUNA-Vorstand Ulrich Leitermann u. a. über die Regierung, Steuerpolitik und Cyberkriminalität

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markt intern: Herr Leitermann, die Signal Iduna hat ein Transformationsprogramm aufgelegt, das sich Vision2023 nennt. Über dieses Programm haben Sie in einem Interview Ende letzten Jahres unter anderem Folgendes gesagt: „Wir müssen flexibler werden, schneller und auch mutiger.“ Wenn Sie das jetzt auf die Politik der Bundesregierung, das Parlament übertragen, wie sehen Sie das? Wird da ähnlich gearbeitet oder gibt es da Nachholbedarf?  

Ulrich Leitermann: Also um das Ergebnis vorwegzunehmen, ich sehe da erheblichen Nachholbedarf. Wir haben uns als Unternehmen in einer Zeit starker Veränderungen die Frage gestellt, in welche Richtung wir uns entwickeln wollen. Dabei hilft es, wenn man eine Historie hat wie unser Unternehmen, das als Gründung des Handwerks und des Handels seit 113 Jahren als Selbsthilfeeinrichtung unterwegs ist. Diesen Zielgruppen sind wir bis zum heutigen Tage verbunden. Das Verhalten der Menschen verändert sich jedoch, zuletzt sogar massiv. Deshalb muss ein Unternehmen sich die Frage stellen, was dieses veränderte Kundenverhalten für es selbst bedeutet. Können wir unser Geschäft so weiter betreiben wie bisher? Funktioniert das in Zukunft noch? Was sind unsere Stärken, was unsere Schwächen? Was will der Kunde eigentlich? Deshalb haben wir vor zwei Jahren eine Studie machen lassen: Was ist der Mehrwert, den wir unseren Kunden bieten können? Dafür haben wir unsere Kunden interviewt, Menschen auf der Straße. Auf die Frage, was sie unter Lebensqualität verstehen, haben über 85 Prozent der Befragten gesagt, Gesundheit sei für sie ein ganz wichtiger Aspekt. Zweiter Aspekt war die Absicherung im Alter, was jetzt nicht wirklich verwundert bei einer alternden Gesellschaft. Der dritte Aspekt war etwas überraschend die Freizeit. Anschließend haben wir überlegt, was wir strategisch tun können, um diesen Anforderungen, Gesundheit, Absicherung im Alter und Freizeit, gerecht zu werden. Daraus haben wir eine Strategie entwickelt, die Vision2023, mit der wir gemeinsam mehr Lebensqualität schaffen wollen. Unsere Versicherungsbedingungen sind zu kompliziert, unsere Antragsverfahren sind zu kompliziert, die Leute hängen zu lange – das gilt für die Branche insgesamt, aber auch für uns – in Warteschleifen. Das alles kostet Zeit und das wollen die Menschen nicht mehr. Und das sagen sie uns auch. Daraus ergibt sich ein Handlungsprogramm für die Unternehmensführung. Es verändert die Anforderungen an unsere Mitarbeiter, die einen ganz anderen Umgang mit dem Kunden pflegen müssen. Die größte Herausforderung, um im Zeitalter der Digitalisierung zu überleben, ist die Antwort auf die Frage, wie es uns gelingt, unsere Mitarbeiter in diesen Veränderungsprozess zu führen. Diesen Transformationsprozess mit den Mitarbeitern zu gestalten und dabei nicht nach dem Motto vorzugehen, wir machen auf der grünen Wiese etwas völlig Neues, voll digitalisiert, und lassen den anderen Ast absterben, ist die Kunst. 10.000 Mitarbeiter in die Transformation mitzunehmen, die 20, 25 Jahre Dinge getan haben, von denen sie heute noch überzeugt sind, sie seien richtig und sie würden auch weiterhin gebraucht. Der Kunde hätte es aber gerne anders. So, jetzt komme ich zu Ihrer Frage. Genau diesem Thema muss sich die Politik stellen. Die Welt verändert sich. Es gibt eine Greta Thunberg. Die beschäftigt sich mit dem Klimawandel. Zu Recht gehen Schüler auf die Barrikaden. Aber das ist zu kurz gesprungen. Denn es geht nicht nur um Klimawandel allein. Ich muss auch die Frage stellen: Wo kommen zukünftig noch die Arbeitsplätze in Deutschland her? Die jungen Leute wollen gerne in einer Wohlstandsgesellschaft, in der sie groß geworden sind, weiterleben. Da muss man dann auch die Frage beantworten, wie das zukünftig finanziert werden soll. Muss ich wegen des Klimawandels alles, was wirtschaftliches Handeln anbelangt, in Frage stellen oder laufe ich Gefahr, unsere wirtschaftliche Basis kaputt zu machen, wenn ich an der einen Seite überziehe?   

Ulrich Leitermann

mi: Politik verhält sich häufig anders. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Digitalisierung. Zunächst wurde als Ziel vorgegeben, alle Haushalte bis 2020 mit 100 Mbit-Internetzugängen zu versorgen. Das Ziel wird deutlich verfehlt. Ein Unternehmen würde analysieren, woran dies gelegen hat. Die Politik gibt einfach ein neues Ziel aus. Jetzt lautet der Plan, flächendeckend 1 GBit bis 2025. Das weniger ambitionierte Ziel wird verfehlt und ich reagiere darauf, indem ich sage, dann satteln wir einfach etwas drauf. Wie soll das funktionieren, wer soll das glauben? 

Leitermann: Was fehlt, und das ist aus meiner Sicht das Kernproblem, ist ein Masterplan für Deutschland. Nennen Sie es Roadmap oder wie immer Sie wollen. Eine klare Vorstellung, was wollen wir in den einzelnen Themen in Deutschland erreichen. Weil ein solcher Masterplan fehlt, ergehen wir uns in Nebensächlichkeiten, die nicht zielgerichtet sind. Wenn ich ein Ziel ausgebe, muss ich es auch mit Maßnahmen unterlegen. Im Unternehmen heißt das, ich habe ein Ziel und muss Maßnahmen erarbeiten, die ich umsetzen muss, um dieses Ziel in der vorgegebenen Zeit zu erreichen. Ich kann nicht irgendwas beschließen und sagen, es wird schon irgendwie geschehen. Genau so wie bei den CO2-Werten. Die sind vor zehn Jahren beschlossen worden, es ist aber vergleichsweise wenig passiert. Die Politik müsste in Fragen der Infrastruktur, damit meine ich die digitale Infrastruktur, aber auch die Verkehrsinfrastruktur, Verkehrspläne, Straßen, Brücken, auch die Schiene, klar sagen, was wie erreicht werden soll. Ich kann nicht hingehen und erklären, wir wollen den Verkehr auf die Schiene verlagern, aber es ist nicht erkennbar, wo in den nächsten zehn Jahren überhaupt mehr Schienen entstehen sollen. Das systematische Abarbeiten fehlt. Da wünsche ich mir von der Politik schon diesen klaren Masterplan. Nicht nur für die Infrastruktur, sondern auch für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, für die Lebensumstände, für die Umwelt. Da braucht es starke Politiker, die zunächst mal losgelöst von Parteipolitik eine Vorstellung entwickeln, wo sie dieses Land in den nächsten zehn, 20 Jahren sehen. Was müssen wir in Deutschland tun, um auch der nachfolgenden Generation nicht nur eine schöne, heile, eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen, sondern auch Lebensumstände zu sichern, die für junge Leute attraktiv und interessant sind? Das fehlt und das ist meine Kernkritik. Die aktuelle Politik gibt keine Orientierung vor und das führt in der Folge zu ganz vielen Erscheinungen, die wir heute als mangelhaft und schlecht begreifen, wie den Verfall von Sitten, von Werten. 

mi: Wir stimmen Ihnen zu, haben aber ein bisschen die Befürchtung, Ihr Masterplan habe auch Herrn Altmaier vor kurzem umgetrieben. Er hat mit seiner Nationalen Industriestrategie 2030 etwas vorgelegt, das an frühere Fünf-Jahres-Pläne der Sowjetunion erinnert. Vereinfacht gesagt lautet seine Botschaft: Wir brauchen große deutsche, europäische Player, die müssen wir pushen und die sorgen dann für den Wohlstand. Ein solcher Masterplan wäre aus unserer Sicht falsch. Wir plädieren deshalb dafür, als Staat eher weniger vorzugeben, vielmehr die Mittelständler machen zu lassen. Nicht die Konzerne, sondern die Mittelständler. 

Leitermann: Aktionismus hilft nicht. Da bin ich bei Ihnen. Mir geht es bei der Idee des Masterplans um die Dinge, die sich entwickeln müssen. Ich werde immer wieder gefragt, wo ich unser Unternehmen in fünf Jahren sehe. Ich weiß nur eins: So wie wir heute aufgestellt sind, können wir in fünf oder zehn Jahren unser Geschäft nicht mehr betreiben. Also muss es eine Veränderung geben. Was zu tun ist, darüber muss ich allerdings eine Vorstellung haben. In der Politik geht es nicht darum, Industriepolitik zu machen, zur Deutschland AG zurückzukehren. Industriepolitik könnte in Deutschland eigentlich nur mit der Automobilindustrie stattfinden. Die Politik spielt aber gerade die Automobilindustrie schwindelig. Wenn Sie das Thema Elektromobilität zu Ende denken, sich anschauen, wie viel Wertschöpfung dann noch in Deutschland stattfindet und dabei nach Baden-Württemberg blicken, wie viele Zuliefererbetriebe dort von der Automobilindustrie abhängig sind, wird schnell klar, dass wir dabei über hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland reden. Wir müssten wieder stärker in Wasserstoff investieren, nicht den Japanern und Amerikanern beim Elektroantrieb hinterherrennen. Da werden wir nicht mehr Weltmarktführer. Also müssen wir uns für Technologien, die vielleicht in der nächsten Generation relevant werden und damit die Arbeitsplätze sichern, einsetzen. Allein auf große Konzerne zu setzen, halte auch ich für falsch. Die meisten Arbeitsplätze in Deutschland gibt es im Mittelstand. Er trägt die wirtschaftliche Entwicklung. Natürlich schauen wir darauf, wenn Industriebetriebe ein paar tausend Mitarbeiter entlassen. Aber dass es im Handwerk fünf Millionen Beschäftigte gibt und dort eine Wirtschaftskraft entsteht, die viel wichtiger ist oder mindestens genauso wichtig, geht dabei unter. Was uns ausmacht in Deutschland, ist der Mittelstand. Den muss man fördern und stützen. Weg mit überflüssiger Bürokratie! Die Großunternehmen mögen Nachhaltigkeitsberichte und CSR umsetzen können, aber ein mittelständischer Betrieb erstickt an dieser Bürokratie. Wir machen den Mittelstand systematisch kaputt, indem wir ihm bürokratische Regeln auferlegen, die auf die Dimension, auf die Struktur und auf die Größe dieser Betriebe nicht passen. Gerade im Handwerk schreckt diese Bürokratie viele Jungmeister ab, sich selbständig zu machen. Aufgabe der Politik ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, nicht zu regulieren. Jetzt reden wir im Moment über Enteignung von Wohnungsunternehmen, um steigende Mieten zu dämpfen. Warum haben wir denn im Wohnungsbau die Probleme? Wo kommen die her? Da müsste ich mich als Politiker mit der Frage auseinandersetzen, ob Bauen vielleicht in Deutschland zu teuer ist. Haben wir zu viele Regelungen, Bauvorschriften, die Bauen teuer machen, die Mieten steigen lässt? Und wenn Sie heute in NRW 6,5 Prozent Grunderwerbsteuer bezahlen und zehn bis zwölf Prozent Nebenkosten haben, mit unverständlichen Bauauflagen wie einem Sicherheits- und Gesundheitskoordinator konfrontiert werden, kostet das schnell ein paar tausend Euro. Natürlich haben wir in München Überhitzungen am Immobilienmarkt, ebenso in Hamburg und Düsseldorf, aber das ist kein flächendeckendes Problem. Fakt ist, Bauen ist zu teuer und dauert zu lange. Genehmigungsverfahren sind zu teuer, notwendige Flächen werden nicht zur Verfügung gestellt und, und, und. Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen und die Wirtschaft laufen lassen. Dort wo Auswüchse sind, muss sie einschreiten. Gar keine Frage, wir wollen keinen Wildwestkapitalismus. Das will niemand. Wir wollen nur eine soziale Marktwirtschaft, die auch wieder funktioniert. 

mi-Herausgeber Olaf Weber, Ulrich Leitermann und Chefredakteur Dr. Frank Schweizer-Nürnberg (v. l. n. r.)

mi: Beim Thema Energiewende kann man gut beobachten, wie anders Politik funktioniert. Erst wurde ein Modell erkoren, weg von Öl und Gas zu kommen. Die Idee an sich ist vielleicht nicht verkehrt. Aber wie wurde sie umgesetzt? Zunächst sind Subventionen für Erneuerbare Energien ungedeckelt geflossen. Dann haben wir massiv in Offshore-Windanlagen investiert, produzieren also auf der Nord- und Ostsee Windstrom, der aber nicht nach Süddeutschland fließen kann, weil die Stromleitungen fehlen. Dann geht ein bayerischer Ministerpräsident hin und sagt, Stromleitungen sollten in Bayern nur unter der Erde verlegt werden, um das Landschaftsbild zu erhalten. Damit sind alle bisherigen Planverfahren hinfällig. Gegen die Südlink-Trasse wird in Thüringen und in Hessen massiv, auch mit Beteiligung der Grünen, die aber für Windkraft sind, protestiert. Wie soll das zusammenpassen? 

Leitermann: Und in Bayern werfen sie jetzt wieder die Gaskraftwerke an, weil sie keinen Strom aus dem Norden bekommen. Das ist genau der Punkt, an dem ich sage, das ist völlig planlos. Nehmen Sie den 5G-Ausbau. Die Leute möchten die Leistung, aber keine Funkmasten. Ich würde auch keinen Funkmast auf dem Dach haben wollen. Aber es gibt auch schon ganz viele Funkmasten unterschiedlicher Anbieter. Warum gibt es bei uns kein nationales Roaming? Warum werden die Anbieter im Rahmen des kartellrechtlich Zulässigen nicht gezwungen, ihre Antennen allen zur Verfügung zu stellen? 

mi: Wir haben die teuersten Strompreise in Europa, weil wir die meisten Abgaben darauf haben. Die Politik behauptet dann frech, sie könne daran nichts ändern. Das ist abenteuerlich. Wir haben eine Stromsteuer, die mal als Ökosteuer gedacht war. Auf diese Stromsteuer draufgekommen ist die EEG-Umlage, ohne die Stromsteuer abzuschaffen. 

Leitermann: Plus Umsatzsteuer. 

mi: Genau, auf alles kommt immer noch die Umsatzsteuer. Wir haben eine Netzabgabe, eine Abgabe für systemrelevante Kraftwerke, die nicht betrieben werden, die aber nicht vom Netz genommen werden dürfen. Eine Abgabe zum Anschluss der Offshore-Anlagen, usw. 

Leitermann: Ich habe mir in der Vorbereitung der Diskussion mal meine Stromrechnung angesehen, weil ich sie gerade auf dem Tisch hatte. Ich habe dann dieser Tage mit der Serviceeinheit meines Anbieters gesprochen, ob er mir sagen könne, was ich pro Kilowattstunde eigentlich bezahle. Meiner Rechnung kann ich das nicht entnehmen. Da stehen Grundpreis, Arbeitspreis, Messstellenbetriebsabgabe, Konzessionsabgabe, Stromsteuer, EEG-Umlage, KWKG-Aufschlag, StromNEV-Umlage, NWG-Umlage, Lastabschaltumlage, usw. Man hat mir dann den Preis genannt, weil der Anbieter ihn natürlich kennt. Wenn ich dann vergleiche, welche Auflagen hinsichtlich der Transparenz wir als Versicherer gegenüber unseren Kunden bekommen, fände ich es durchaus kundenfreundlich, wenn auf der Rechnung als Lesehilfe für den Verbraucher stünde, was die Kilowattstunde kostet, nämlich für mich aktuell 27,6 Cent. Dann könnte ich auch vergleichen, was ich bei einem anderen Stromanbieter bezahlen müsste.  

mi: Sie haben die Bürokratielasten für den Mittelstand angesprochen. Die sind in der Tat ein Problem, unser Steuerrecht ist aber auch ein Problem. Wie man neuesten Zahlen des BMF entnehmen kann, haben wir 2018 mit 23,7 Prozent des BIP die zweithöchste Steuerlast aller Zeiten gehabt. Lediglich 1980 war die Quote mit 23,8 Prozent höher. Die Regierung tut sich schon schwer, den Solidaritätszuschlag für alle zu senken, weil dies ungerecht sei. Hinzu kommt eine Komplexität, die irrsinnig ist. Allein für die ertragsteuerliche Behandlung von Geschenken eines Unternehmers bedarf es eines umfangreichen Schaubildes, um diesen an sich simplen Sachverhalt korrekt zu erfassen. Da sind wir noch gar nicht bei Spitzfindigkeiten des Umsatzsteuerrechts. Sprechen Sie als Unternehmen darüber gelegentlich mit der Leitungsebene des Finanzministeriums und fragen die Verantwortlichen, ob sie eigentlich eine Vorstellung davon haben, was es für Unternehmen bedeutet, derart komplexe Regelungen zu schaffen? 

Leitermann: Wir besprechen die Dinge natürlich mit der Politik. Die antwortet uns dann, wir als Unternehmen seien ein Stück weit an dieser Komplexität selbst mitschuldig, weil noch bei jeder Gesetzgebung Unternehmen irgendwelche Ideen gehabt hätten, was aus der Regelung raus- oder in sie reingenommen werden müsse. Das schaffe selbst Komplexität, die von den Unternehmen auf der anderen Seite beklagt werde. Das ist nicht so ganz falsch. Immer dann, wenn es darum geht, einen Vorteil oder eine Subvention abzuschaffen, gibt es einen großen Aufschrei bei denen, die es betrifft. Die anderen finden es toll, weil sie es gerade nicht getroffen hat. Ich glaube daher, es ist wahrscheinlich nur ein großer Wurf möglich, indem alle Subventionen gestrichen werden. Das trifft alle. Der Aufschrei wäre erst einmal groß, aber dann wäre auch wieder Ruhe, weil es für alle einfacher würde. Ich habe vor kurzem einen interessanten Vortrag des derzeitigen deutschen Botschafters in Estland, Christoph Eichhorn, gehört. Es ging darin um Fragen der Digitalisierung. Er hat berichtet, eine Steuererklärung könne man in Estland zu Hause von der Couch aus in zwei Minuten machen. Ganz viele Abordnungen von Landes- und Bundespolitikern kämen nach Estland, um sich dies anzusehen. Bei der anschließenden Diskussion gäbe es dann die typisch deutsche Frage zur Steuerpolitik. Wie wird dabei das Aktienpaket auf den Fidschi-Inseln abgebildet? Das ist in zwei Minuten natürlich nicht zu machen. Die Gegenfrage, ob der Betreffende jemanden kenne, der Aktienpakete auf den Fidschi-Inseln hat, wird regelmäßig verneint. Wie oft so etwas überhaupt vorkommt, wissen die Fragesteller auch nicht. Das ist aus meiner Sicht typisch. Wir versuchen auch Dinge zu regeln, die vielleicht nur in ganz wenigen Ausnahmefällen vorkommen, und deswegen schaffen wir es nicht, standardisierte einfache Regelungen hinzubekommen. Das Steuerrecht ist so kompliziert, dass es wahrscheinlich eines ganz großen Wurfes bedarf, um es in irgendeiner Form zu vereinfachen. 

mi: Sie sind von Hause aus selbst Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Würden denn Ihre früheren Kollegen, die Steuerberater, das mitmachen oder würden sie sagen, das geht nicht, damit macht ihr uns alle arbeitslos? 

Leitermann: Das glaube ich nicht. Der Steuerberater hat auch andere Funktionen als nur Steuern zu deklarieren. Das kann keinem Spaß machen. Also ehrlich, ich habe in der Umsetzung dieser komplexen Sachverhalte nie eine besondere Befriedigung empfunden. Ich glaube, die Steuerberater würden applaudieren, weil sie davon profitieren würden. Die haben hohe Haftungsrisiken, weil sie selbst diesen Dschungel nicht mehr durchblicken. Die Berufskollegen würden sich zweifelsfrei freuen, sich auf das konzentrieren zu können, was eigentlich interessant ist. Nämlich nicht die Steuerdeklaration, sondern die Gestaltung, nicht im Sinne von Steuerhinterziehung, sondern von Optimierung. Aus meiner Sicht bildet der sogenannte Mittelstandsbauch die größte Belastung durch das aktuelle Steuerrecht für die große Mehrheit der Bevölkerung ab. Wenn ich mir ansehe, welche Abzüge unsere ledigen Mitarbeiter mit Bruttogehältern zwischen 60.000 und 70.000 Euro haben, dann ist das schon demotivierend. Und da kommen die Sozialabgaben noch dazu. Da kann ich den Frust mitunter verstehen. Im Mittelstandsbauch, wo wir Tarifanpassungen in den Gehältern haben, hat sich über Jahre steuerlich kaum etwas verändert. Da findet keine grundlegende Anpassung statt. Ich habe noch keine Regierung gesehen, die sich dieses Themas wirklich angenommen hätte. Und das nicht mal in einer Phase, in der die Steuereinnahmen und die Einnahmen insgesamt ohne Ende sprudeln. Wo die Staatshaushalte durch Niedrigzinsen entlastet werden. 45 Milliarden Euro spart der deutsche Staatshaushalt jedes Jahr. Da wäre aus meiner Sicht Potenzial, z. B. auch denjenigen etwas zurückzugeben, die durch diese Niedrigzinspolitik massiv belastet werden. Nämlich den Menschen, die ein bisschen Erspartes auf die Seite legen fürs Alter. 

mi: Auf die Altersvorsorge kommen wir gerne zurück. Zuvor möchten wir Ihnen nur noch schmackhaft machen, statt vom Mittelstandsbauch zukünftig von einer Steilwand zu reden. Mittelstandsbauch klingt so nach Wohlstandsbauch. Die Tarifentwicklung hat auch weniger etwas von einer Rundung, sie ist inzwischen eine Steilwand. Aber kommen wir zur Altersvorsorge. Das ist in der Tat ein sehr missliches Thema für viele. Wie kann man eigentlich Altersvorsorge in einem Niedrigzinsumfeld betreiben? Worauf sollten Selbständige bei der eigenen Altersvorsorge, aber auch der ihrer Mitarbeiter achten? 

Leitermann: Aus der Niedrigzinsphase den Schluss zu ziehen, Altersvorsorge lohne sich nicht, ist falsch. Die Konsequenz muss sein, mehr zu tun als früher. Natürlich war ein Zinseffekt schön. Er ist in unseren Produkten auch einkalkuliert worden. Wir haben den Kunden einst Berechnungen vorgelegt, die auf Zinsen zwischen fünf und sechs Prozent basierten. Auf dieser Basis haben viele Menschen gerechnet, auch als der Garantiezins deutlich niedriger war. Heute ist die Zinsentwicklung leider nicht mehr so und deswegen fallen die Beträge, die mal in Aussicht gestellt worden sind, deutlich geringer aus. Das macht die Menschen verständlicherweise unzufrieden. Nichtsdestotrotz muss man auch heute etwas für die Altersversorgung tun, gerade junge Menschen. Wer jeden Monat 10 Euro spart, hat am Ende des Tages mehr als der, der nicht spart. Aktuell diskutieren wir, ob aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die heute beim sogenannten Eckrentner nach 45 Jahren noch 48, demnächst 45 Prozent der Nettoeinkünfte erreicht, zukünftig nur noch um die 40 Prozent des letzten Nettolohnes erreicht werden. Viele Menschen kommen heute mit ihrem Nettolohn schon nicht aus. Wie sollen sie mit 40 oder 45 Prozent davon auskommen? Die Antwort kann nur sein, die Politik muss die Betreffenden in die Lage versetzen, privat vorsorgen zu können. Es muss ein Sparprozess stattfinden, in welcher Form auch immer. Wir müssen die Menschen in der Vorsorgefähigkeit unterstützen. Das gilt für den Unternehmer, das gilt aber auch für den Mitarbeiter. Sehr viele Betriebe bieten zwischenzeitlich neben der betrieblichen Altersversorgung ihren Mitarbeitern auch eine betriebliche Krankenversicherung an, weil sie damit die Mitarbeiter ans Unternehmen binden wollen. Das ist in den mittelständischen Strukturen deutlich schwieriger zu bewerkstelligen, speziell bei der Altersvorsorge. Aber in Zeiten, in denen es den Betrieben gut geht wie im Moment insbesondere im Handwerk, ist das sicherlich ein probates Mittel, Fachkräfte ans Unternehmen zu binden. Wir als Signal Iduna gehen im Rahmen unserer veränderten Strategien jetzt viel stärker in die Betriebe rein und beraten im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Da hilft die Digitalisierung enorm. Wir haben heute technische Unterstützung, die wir den Betrieben an die Hand geben, die die Verwaltung einer betrieblichen Altersversorgung deutlich einfacher macht als früher. 

mi: Was wäre denn die personelle Untergrenze, ab der dies für Betriebe sinnvoll ist? 

Leitermann: Es reicht schon ein Mitarbeiter, üblich sind aber Betriebsgrößen ab fünf bis zehn Mitarbeitern, größere Betriebe gehen selbstverständlich auch. Für Soloselbstständige gibt es im Übrigen aktuell die gesetzliche Bestrebung, die wir richtig finden, eine Versicherungspflicht einzuführen. Also die Pflicht, Altersvorsorge zu betreiben. Wohlgemerkt, wir fordern keine Pflichtversicherung, wir fordern eine Versicherungspflicht. Es muss den Menschen überlassen bleiben, ob sie sich privat oder gesetzlich oder wie auch immer versichern. Aber sie müssen es in irgendeiner Form tun. 

mi: Kommen wir mal zum Handwerk, dem sich Ihr Unternehmen seit der Gründung besonders verbunden fühlt. Die Do-it-yourself-Welle und andere Entwicklungen haben dazu geführt, dass es vermehrt Fälle gibt, in denen Pfusch zu reparieren ist. Teilweise wird der dann durch die reparierenden Fachhandwerker aus Kulanz gegenüber den Kunden über deren Versicherung abgewickelt. Im Ergebnis wird damit aber wieder ungewollt der Schwarzarbeit Vorschub geleistet. Können Sie das als Versicherer bestätigen und wie gehen Sie vor, um Schwarzarbeit in reguläre Kanäle zurückzuführen? 

Leitermann: Sie werden jetzt nicht überrascht sein, dass ich sage, ich lehne Schwarzarbeit kategorisch ab. Dass sie stattfindet, hört man immer wieder. Wir können niemandem verbieten, Reparaturarbeiten selber durchzuführen. Ich würde dringend davon abraten, aber es mag Leute geben, die das vielleicht gelernt haben oder das, warum auch immer, bei sich zu Hause machen. Also wir steuern insbesondere im Kfz-Bereich Reparaturen in ein eigenes Werkstattnetz oder in Handwerksbetriebe, die entsprechend qualifiziert sind. Es gibt Tarife, bei denen Sie verpflichtet sind, in die Fachwerkstatt zu gehen und Ersatz nur gegen Vorlage einer Rechnung erhalten. Und die Rechnungen werden geprüft. Dann gibt es z.B. bei Sturm- und Hochwasserschäden die Möglichkeit, dass Aufräumarbeiten durch den Kunden selbst gemacht werden. Dann bekommt er, sofern er seine Arbeitsleistung nachweist, einen Stundensatz von zehn Euro dafür. Soweit es aber um fachhandwerkliche Arbeiten geht, lassen wir die Fiktivabrechnung nicht zu. Da beauftragen wir zum einen Gutachter und zur Reparaturausführung selbst dann Fachbetriebe. 

mi: Unsere Frage zielte mehr auf die Bereiche Gas-, Wasser- und Elektroinstallationen. Ist da bei Ihnen erkennbar, dass es durch Arbeiten minderqualifizierter Handwerker zunehmend Schäden gibt? 

Leitermann: Es gibt qualifizierte Betriebe und weniger qualifizierte Betriebe. Aber es ist nicht so, dass nicht auch durch einen Fachbetrieb eine mangelhafte Ausführung stattfinden könnte. Wir versuchen, Ausführungen durch minderqualifizierte Handwerker zu verhindern, indem wir ein Netz von Dienstleistern unterhalten, die bestimmte Qualitätserfordernisse erfüllen müssen, um sicherzustellen, dass die Arbeiten, die für uns ausgeführt werden, auch qualitativ richtig ausgeführt werden. Sollte der Kunde allerdings sagen, er habe einen bestimmten Handwerker, der dies für ihn mache, werden wir am Ende des Tages uns deshalb nicht mit ihm streiten. Aber auch da lassen wir uns die Rechnung vorlegen. 

mi: Allgemein boomt es gerade im Handwerk. Die größten Fehler werden allerdings häufig in Zeiten des Erfolges gemacht. Wie schätzen Sie das ein? Wie steht es um die Nachfolgeregelungen der Betriebe? Handwerksfunktionäre haben das auf dem Schirm, aber kommt das auch bei den Betrieben an? 

Leitermann: Da passiert auch viel. Das Kernproblem des Handwerks ist im Moment in der Tat der Fachkräftemangel. Das Thema artikuliert das Handwerk schon seit etwa zehn Jahren. Schaut man sich die Werbekampagne des Handwerks an, die ich im Übrigen ausgezeichnet finde, sehen Sie, dass sie mit Erfolg dazu dient, junge Menschen ans Handwerk ranzuführen. Ihnen zu zeigen, Handwerk ist modern, Handwerk sichert eine gute wirtschaftliche Grundlage. Ein Teil des Nachwuchsproblems ist, dass so getan wird, als ob nur eine akademische Ausbildung eine wirtschaftlich gute Grundlage für junge Menschen sei. So ist es aber nicht. Ein Handwerksmeister hat heute bessere Möglichkeiten, eine wirtschaftliche Grundlage zu schaffen als mancher Akademiker. Die akademische Ausbildung an sich ist noch kein Garant eines gesicherten Wohlstands im Berufsleben und im Alter. Das Handwerk kämpft um die Anerkennung und die Wertschätzung in der Gesellschaft, dass eine handwerkliche Ausbildung nicht schlechter ist und nicht schlechter beurteilt wird als eine akademische Ausbildung. Das ist auch durch nichts zu rechtfertigen. 50 Prozent der Studienanfänger brechen ihr Studium ab. Auch auf diese Gruppe zielt das Handwerk ab und sagt, wenn du für die zweite Karriere bereit bist, komm ins Handwerk. Aber muss man es immer so weit kommen lassen? Die Kampagne fruchtet, aber noch nicht genug. Das Handwerk tut im Übrigen auch bei der Flüchtlingsintegration sehr viel.  

mi: Die Antwort, warum immer noch zu wenig junge Menschen den Weg ins Handwerk finden, haben Sie wahrscheinlich mit Ihrer Umfrage zur Lebensqualität selbst gegeben. Die hohe Wertschätzung für die Freizeit steht dagegen. Junge Menschen haben heute oft eine Erwartung an die Freizeit, die nicht der beruflichen Realität entspricht. Wer in der Wirtschaft etwas werden will, der muss auch bereit sein, eher 50 als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Und wer als Bäcker arbeiten möchte, muss bereit sein, früh aufzustehen. Eine Leiterin eines Euronics-Marktes hat mir vor kurzem ihr Leid geklagt, weil sie keinen technikaffinen jungen Mitarbeiter findet, der die Ladenöffnungszeiten am Samstag mitmacht. 

Leitermann: Das ist so, aber in den Gewerken sehr unterschiedlich. Es gibt schon Gewerke, die eine sehr geregelte Arbeitszeit haben, soweit eine hohe Auftragslage nicht zusätzliche Arbeit erfordert. Es gibt Gewerke, und dann eben auch den Handel, mit Arbeitszeiten am Wochenende oder an Feiertagen. Aber es gibt durchaus auch Menschen, die zu solchen Zeiten arbeiten wollen. Wir müssen selbst als Arbeitgeber flexibler sein bei unseren eigenen Arbeitsangeboten. Ich erlebe Mitarbeiter in Start-up-Unternehmen, die arbeiten Samstag und Sonntag, sind aber unter der Woche an bestimmten Tagen nicht da. Also wir müssen in den Arbeitszeitmodellen flexibler werden, aber ich gebe Ihnen Recht, das hilft dem Bäckereibetrieb nicht. Die Menschen wollen morgens um 7 Uhr in der Bäckerei ein frisches Brötchen und machen sich keine Gedanken darüber, dass dafür nachts jemand um 2 Uhr in der Backstube stand. Es wäre ganz hilfreich für die Anerkennung und die Wertschätzung solcher Menschen, wenn den Kunden bewusst wäre und sie mal reflektieren würden, was andere an Dienstleistung erbringen, damit sie diesen Service haben können. 

mi: Wissen Sie, wer der Traumarbeitgeber junger Abiturienten ist? Laut einer aktuellen Befragung wünschen sich angeblich zwei Drittel die öffentliche Hand als Arbeitgeber. 

Leitermann: Das habe ich mir gedacht.  

mi: Das klingt nach geregelter Arbeitszeit, kein Stress,  

Leitermann: Kein Risiko. 

mi: Gute Altervorsorge und keine befristeten Arbeitsverträge. 

Leitermann: Ja, das erlebe ich mitunter auch so. Ich erlebe junge Menschen aber auch teilweise ganz anders. Die sind engagiert unterwegs, die wollen etwas erreichen, wollen Karriere machen, wollen teilweise gar keine Festanstellung. Wir erleben im Moment im IT-Bereich junge Leute, die wir dringend brauchen, und die uns sagen, sie wollten keine Festanstellung. Die machen ein halbes Jahr, vielleicht neun Monate ein Projekt, und dann sind die auch wieder weg. Auch das gibt’s. In der Berliner Start-up-Szene erleben Sie noch ganz andere Leute. Die träumen alle irgendwie vom Exit und vom großen Geld. Aber es gibt immer auch die anderen, die sagen, ich will das alles nicht. Das ist auch in Ordnung. Wir müssen nur Rahmenbedingungen schaffen, die beides möglich machen und dürfen weder das eine noch das andere verteufeln. Aber wenn wir Rahmenbedingungen vorfinden, und da sind wir wieder beim Handwerk, die so durchreguliert sind, dass sie die Leute abschrecken, dort tätig zu sein, dann müssen wir ernsthaft die Frage stellen, was schiefläuft. 

mi: Für ein anderes unternehmerisches Klima müsste unsere Gesellschaft auch das Scheitern akzeptieren. In den USA herrscht da ein ganz anderes Bewusstsein. 

Leitermann: Das stimmt, es wird aber besser. Ich stimme Ihnen zu, dass wir noch weit von Verhältnissen wie in den USA entfernt sind, aber ich erlebe in der Start-up-Szene, dass es dort schon anders ist. Dort gehört Scheitern dazu, weil auch dies eine wichtige Erfahrung ist. Ganz modern in diesen Unternehmen sind sogenannte FuckUp Nights. Der Begriff ist mir erstmals untergekommen, als wir einen Referenten der Otto Group bei uns hatten. Das sind Veranstaltungen, auf denen die Mitarbeiter darstellen, was bei ihnen schiefgelaufen ist. Zalando macht das z.B. auch. Dort werden die Mitarbeiter nicht an den Pranger gestellt, sondern schildern ihre Fehler. Damit werden Grundlagen gelegt, nach dem Motto zu verfahren, Scheitern ist nicht negativ, sondern was lerne ich daraus.  

mi: Bei IT und Start-up liegt das Thema Cyberkriminalität nicht mehr fern. Das ist eine ziemliche Herausforderung für Mittelständler. Bieten Sie als Versicherer dort zielgruppenorientiert, beispielsweise für Handwerker oder Steuerberater, Beratung? Sagen Sie den Unternehmen, was sie präventiv tun können und bieten Sie eventuell sogar Versicherungsschutz in diesem Bereich an? Mit welchen Auflagen muss beispielsweise ein Handwerker oder ein Steuerberater rechnen, falls er eine Cyberversicherung haben will und auf welche Fragen muss er sich dann einstellen? 

Leitermann: Das Bewusstsein für die massive Zunahme der Cyberrisiken stellen wir durch die Bank fest, im Handwerk wie im Handel. Der Schritt, sich dagegen abzusichern, scheint aber relativ groß zu sein. Das zeigen zumindest die Zahlen, die ich sowohl im Gesamtmarkt als auch in unserer Gruppe sehe. Jeder ist sich über die Gefahren bewusst, aber die Absicherung wird dann doch unterlassen. Wir müssen das Thema noch stärker in die Öffentlichkeit treiben. Bei der Beratung ist zu unterscheiden, um wen es geht. Steuerberater mit hochsensiblen Daten müssen sich anders absichern als Handwerksbetriebe, die keine Produktion an ein Netzwerk gekoppelt haben, sondern zum Beispiel einen Stand-Alone Rechner benutzen und die  Lohnabrechnung online machen. Was man den Menschen vermitteln muss, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber eben doch nicht ist, ist, aktuelle Updates auf den Rechnern zu haben. Regelmäßige Updates, regelmäßige Sicherungen. Natürlich bieten wir Produkte zu Cyberrisiken an. Dabei geht es nicht nur darum, irgendeine Schadensleistung in Geld zu erbringen, sondern darum, wie wir dem Betrieb helfen, den Schaden zu beheben. Wir haben ein Produkt im Markt, im Moment ist es einzigartig, bei dem ist eine Präventionsmaßnahme mit dabei. Die Versicherungsnehmer erhalten die Möglichkeit, Mitglied in einem Cyber-Security-Club zu werden. Der ist von einem Start-up in Berlin, mit dem wir zusammenarbeiten, gegründet worden. Die Mitglieder erhalten dort Beratung. Telefonisch ist der Club für alle Fälle 24 Stunden, sieben Tage die Woche erreichbar. Dazu kommt die Versicherung. Das ist dann ein Gesamtpaket, mit dem 70 Prozent der Notfälle telefonisch bereinigt werden können. Und wenn das nicht reicht, dann gibt es noch ein Netzwerk von Dienstleistern, die vor Ort bei der Datenrücksicherung oder bei den notwendigen Schritten, die technisch zu machen sind, helfen. Um eine solche Versicherung zu bekommen, muss vorher ein Fragebogen beantwortet werden. Der Umfang des Fragebogens hängt von der Größe des Betriebs und seiner Komplexität ab. Der Fragebogen ist relativ dünn gehalten für kleinere Betriebe und wird eben umfangreicher für größere Betriebe. Also es gibt so ein paar Spielregeln, an denen man sich orientieren sollte und viele Hilfestellungen für die Betriebe. Diese Hilfestellung gibt der Cyber-Security-Club. 

mi: Was kostet so eine Police oder kann man das generell nicht sagen? 

Leitermann: Die Prämie hängt von der Größe des Betriebes ab. Bis drei Millionen Umsatz haben wir eine Pauschalregelung. Die Prämien sind überschaubar im Vergleich zu den Schäden, die entstehen können. Es gibt bisher noch relativ wenige Schäden, sowohl bei uns als auch in der Branche (GDV-Zahlen). Die Schadenshöhen sind bisher eher gering. 

mi: Die von Ihnen genannten niedrigen Schadenssummen des GDV beziehen sich wahrscheinlich auf abgesicherte Betriebe, die eine Versicherung hatten. Bei den anderen sehen die Zahlen vermutlich anders aus? 

Leitermann: Ja. Insgesamt geht man von Milliardenschäden aus, die in dem Bereich entstehen. Auch wir als Unternehmen erleben tagtäglich Angriffe. Die zwar über die Firewalls abgefangen werden, aber sie finden statt. 

mi: Herr Leitermann, recht herzlichen Dank, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben, mit uns zu diskutieren.