BVR-Präsidentin Marija Kolak über die Regierung, deren Steuerpolitik und die Regulierung der Banken

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markt intern: Frau Kolak, Sie sind seit Januar 2018 Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und die erste Präsidentin. Dass Frauen Spitzenpositionen innehaben, ist selbst in Deutschland nicht mehr ungewöhnlich, aber die Finanzindustrie ist immer noch sehr männerlastig. Haben die Herren sich an Sie gewöhnt?  

Marija Kolak: Ich denke schon. Aber Sie haben recht, was die Anteile der Frauen in den Vorständen der Kreditinstitute betrifft, da geht noch was. 

mi: Politik, Regierungsarbeit in Deutschland wird im Moment, je nach Betrachter, als witzig, spannend oder interessant bewertet. Jedenfalls sind die Herausforderungen groß und wir haben eine Regierung, von der man ständig lesen kann, die eine Hälfte wolle am liebsten die Koalition beenden. Welchen Eindruck haben Sie ganz generell von der Berliner Politik, ohne dies parteipolitisch werten zu wollen?

Kolak: Um das zu beantworten, muss man einen großen Bogen spannen. Es stehen große Aufgaben vor uns, nicht nur in Deutschland. Da gibt es unter anderem das Thema der Demographie. Bei uns ist das leider eher mit negativen Zeichen versehen, wegen der Überalterung. Das Thema löst ganz unterschiedliche Fragestellungen für die Zukunft aus. Dann haben wir noch den globalen Megatrend der Digitalisierung. Den Brexit. Den Klimawandel. Und wir spüren ständig die Auswirkungen der Globalisierung, die Abhängigkeiten und Vernetzungen, zu denen diese führt. Nehmen Sie nur als Beispiel die Reaktionen an den Kapitalmärkten, ein Tweet kann zu Ausschlägen auf der ganzen Welt führen. Das macht es zum Beispiel für Mittelständler, die heute Investitionsentscheidungen für morgen treffen müssen, schwer einzuschätzen, wohin die Reise geht. Schaffen Sie neue Arbeitsplätze? Bilden Sie aus? Bauen Sie eine neue Lagerhalle? Ist 3D-Druck ein Thema? Das ist nur ein Ausschnitt an Fragestellungen, die schwierige und weitreichende Weichenstellungen nach sich ziehen. Aufgabe der Regierung ist, das Ganze als großes Bild zu sehen und für die Zukunft die richtigen Prioritäten zu setzen. Wichtig ist es jetzt, keine Klientelpolitik zu betreiben, sondern das gesamte Bild im Auge zu behalten. Stillstand wäre gefährlich. Innovation und Modernisierung gehören für mich ganz oben auf die Agenda. 

mi: Sie haben, wie es sich für einen obersten Verbandsvertreter gehört, vermieden, Noten zu vergeben. Wir wollen Sie dazu auch gar nicht drängen, aber vielleicht können wir diskutieren, ob die Politik die richtigen Schwerpunkte setzt. Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ist ein Problem, ebenso der Ausrüstungsstand der Bundeswehr. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Entscheidung der neuen Verteidigungsministerin, als erste Aktion Freifahrten für Soldaten in Uniform ab Januar 2020 bei der Deutschen Bahn auszurufen? Ist das die richtige Akzentsetzung oder wäre es nicht besser, sich erst einmal um ein paar andere Dinge zu kümmern? 

Kolak: Es ist die Verantwortung jedes Einzelnen, als Unternehmerin, als Bürger, als Journalist, sich zu fragen, was wir gemeinsam nach vorne stellen. Wir könnten jetzt die von Ihnen genannte Entscheidung kritisieren, wir können sie aber auch einfach nur zur Kenntnis nehmen. Wir verlieren uns gerne in Einzelheiten, in Orchideendiskussionen. Nehmen Sie die Verkehrsinfrastruktur, ja, man kann da vieles kritisieren. Aber wir sollten das Große und Ganze dabei nicht aus dem Auge verlieren. Dringend nötig sind signifikante Investitionen in Straßen- und Schienenverkehrsnetze. Wir diskutieren, wie viel Logistikleistung wir von der Straße auf die Schiene kriegen, obwohl die Infrastruktur der Schiene das im Moment gar nicht hergibt. Wenn jetzt plötzlich niemand mehr innerdeutsch fliegt, dann kann die Bahn das gar nicht stemmen. Dieses Land hat außerdem noch große Ressourcen bei der Binnenschifffahrt. 

Marija Kolak

mi: Wo sollen diese Diskussionen eigentlich aufhören? Was verbieten wir denn nach dem Fliegen als nächstes? Vieles, was wir aktuell in Deutschland diskutieren, hat Formen einer Deindustrialisierungstendenz. Die wirkt sich nicht nur auf die Industrie generell, sondern insbesondere auch auf den Mittelstand aus. Immer mehr Ökonomen hinterfragen, warum ausgerechnet wir Deutsche uns selbst derartige Bremsen anlegen. 

Kolak: Das stimmt, vor allem, wenn Sie das im internationalen Vergleich sehen. In Asien ist inzwischen von Good Old Europe die Rede. Früher kamen – ich übertreibe –Heerscharen zu uns, um alles abzufotografieren. Die Zeiten sind längst vorbei. Asien versucht systematisch, Industrien neu zu formen, nimmt beim Thema  Digitalisierung eine Vorreiterrolle ein. Bemerkenswert ist das Projekt Seidenstraße. Das bemerken durchaus auch unsere mittelständischen Firmenkunden. Manche unserer Hidden Champions, die ein Transmissionsriemen zur Realwirtschaft sind, werden inzwischen aufgekauft. Diese werden dann Teil einer Konzernholding, bei der Sie den ganzen Tisch bräuchten, um nur das Organigramm aufzuzeichnen. Das ist ein ganz anderer Zugang als zu den Unternehmen, die regional verankert sind, in denen Unternehmer ganze Regionen, Städte geprägt haben, als Familienunternehmen bewusst etwas in die Gesellschaft zurückgegeben haben. Deshalb ist meine Bitte an die Politik: Besinnen wir uns gemeinsam zurück auf das Thema Wertschöpfung. Die Regierung muss die Rahmenbedingungen setzen, damit überhaupt Wertschöpfung entstehen kann. Darauf kann die soziale Marktwirtschaft dann aufsetzen. 

mi: Lassen Sie uns zur Energie- und Umweltpolitik kommen. Die hat viel mit der Frage der Wertschöpfung zu tun. Wir betreiben seit mehr als einem Jahrzehnt eine Energiewende. Wir geben immer mehr Geld aus und erreichen immer weniger unsere klimapolitischen Ziele. Wir bilden eine Kohlekommission, die mühsam Kompromisslösungen entwickelt und dann kommt der bayerische Ministerpräsident, der kein einziges Braunkohlekraftwerk in seinem Bundesland hat, allerdings Atomkraftwerke, die demnächst abgeschaltet werden, und fordert einen Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht erst 2038, sondern 2030. Damit kann man in Bayern natürlich Freunde gewinnen, für den Rest der Republik sieht das dann ein bisschen anders aus. Wie schauen der BVR, wie schauen seine Mitglieder auf das Thema, was adressieren Sie da an die Politik? 

Kolak: Wir stellen immer nach vorne, was in der DNA der Genossenschaftsbanken selbst liegt, also das Thema Nachhaltigkeit und nachhaltiges Wirtschaften. In unserer Organisation, die über 150 Jahre alt ist, die zwei Weltkriege überlebt hat, verschiedene Währungen hat kommen und gehen sehen, ist das Thema nachhaltiges Wirtschaften elementar. Es braucht Augenmaß, Wirtschaftlichkeit, damit die Bürger nicht über Gebühr belastet werden. Die Europäische Union hat den Antritt, Umweltthemen vordergründig über die Banken und deren Finanzierungsangebote zu regeln. Für die Finanzierung nachhaltiger Investitionen werden Kriterien vorgegeben, die die Banken einzuhalten haben. Die Kriterien stammen oft von NGOs. Die Vorgaben, was zu finanzieren ist, sollen von den Banken berücksichtigt werden. Ich weise bei meinen Gesprächen in Brüssel darauf hin, dass das nicht praxistauglich ist. Wir können doch nicht unseren Firmenkundenbetreuern aufgeben, die Einhaltung derartiger Vorgaben bei Kunden zu überwachen. Heute in einer Lackiererei und übermorgen bei einem kleinen Chemieproduzenten. Soll der Firmenkundenbetreuer durch die Produktion gehen und schauen, was wie nachhaltig ist? Wie soll die Bank ihre Mitarbeiter dahingehend schulen? Wie soll ein Firmenkundenbetreuer die gesamte Spannbreite der Wirtschaft über alle Branchen hinweg einschätzen können? Prüfen können, ob der Fuhrpark nachhaltig ist, welches Papier verwendet wird? Wie die chemischen Prozesse in einer Lackiererei ablaufen? Das ist realitätsfremd. Leider ist es unbequem, aufzustehen und auch mal klare Position zu beziehen. Ich glaube, da sind wir als Unternehmer, als Bürgerinnen und Bürger jetzt alle gefordert. 

mi-Herausgeber Olaf Weber, Marija Kolak und Chefredakteur Dr. Frank Schweizer-Nürnberg (v. l. n. r.)

mi: Da wird Ihnen hier niemand widersprechen, aber das ist ein anderes Thema. Kommen wir stattdessen mal zur Regulierung der Kreditwirtschaft. Darunter leiden nicht nur Banken, sondern auch die Kunden der Banken, Unternehmen wie Private. Im Zuge der Finanzkrise ist weltweit die Überzeugung gereift, Kreditinstitute so zu regulieren, dass es nie mehr zu solchen Verwerfungen kommen kann. Allerdings haben wir den Eindruck, inzwischen ist zumindest in Deutschland zu viel des Guten getan worden. Der eigene Briefkasten quillt über aufgrund der Informationen, die Banken ihren Kunden zu erteilen haben. In Teilen werden Geschäfte nicht mehr gemacht, weil sie sich für die Institute bei Erfüllung aller Auflagen nicht mehr rechnen. Manche Kunde wollen auch gar nicht alles derart dokumentiert haben. 

Kolak: Das ist die Realität. Zunächst möchte ich das Thema der  aufsichtsrechtlichen Dimensionen ansprechen und dann den Aspekt des Verbraucherschutzes. Das Pendel der Regulierung ist nach der Finanzkrise ausschließlich in eine Richtung ausgeschlagen. Prämisse war immer, dass nie wieder eine Situation entstehen darf, in der aus riskanten Bankgeschäften Gefahren für die Sparer ausgehen. Wir haben daher als Verband, auch mit den Kollegen der Sparkassen, immer als solches  adressiert, dass es uns nicht darum geht, Regulierung zu verhindern. Eigenkapital und Liquidität sind wichtige Aspekte der Regulierung. Manche Regulierung war sogar bitter nötig. Aber eine Investmentbank gleichzusetzen mit einer Volksbank, Raiffeisenbank oder einer Sparkasse, das ist völlig inakzeptabel. Hier geht es um Verhältnismäßigkeit. Wir werden nicht müde, diesen Aspekt der Proportionalität einzufordern. Beim Verbraucherschutz geht der Gesetzgeber leider zu oft von einem unmündigen Bürger aus. Gute Kriterien sind wichtig für den Verbraucherschutz. Aber es ist falsch, den Eindruck zu erwecken, der Bürger sei sich überhaupt nicht bewusst, was er für Geschäfte tätigt. 

mi: Diese Tendenz ist weit verbreitet. Aktuell gibt es einen Gesetzentwurf aus dem Justiz- und Verbraucherschutzministerium, wonach Mobilfunkverträge nur noch ein Jahr laufen und sich ohne Kündigung maximal um drei Monate verlängern dürfen. Welches Bild steckt dahinter, dem Bürger vorzuschreiben, er dürfe keine Verträge über eine zweijährige Laufzeit mehr abschließen? 

Kolak: Ich kann Ihrer Kritik nur zustimmen. Was beim Verbraucherschutz sehr nachhallt, ist der Aspekt ‘Geiz ist geil’. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. There is no free lunch – nicht beim Telefon und nicht beim Konto. Irgendjemand bezahlt die Rechnung. Was beispielsweise Google betrifft, ist mittlerweile hoffentlich die Erkenntnis bei allen gereift, dass sie mit ihren persönlichen Daten bezahlen. Jede Leistung hat ihren Preis. Deswegen sind wir gegen ordnungspolitische Eingriffe, die Unternehmen die Möglichkeit nehmen, planbare Leistungen in der Zukunft auf den Markt zu bringen. 

mi: Bei dem Stichwort Eingriff fällt uns die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein, wonach die Mietpreisbremse verfassungsgemäß ist. Wie bewerten Sie die Entscheidung? 

Kolak: Ich bin mit einem Handwerker verheiratet. Er hat mir gerade gestern von einem Kollegen berichtet, dem ein Investor den in Aussicht gestellten Auftrag abgesagt hat, weil sich für ihn unter diesen Bedingungen die Sanierung der Immobilie nicht mehr lohnt. Da werden jetzt viele Investitionsentscheidungen nicht mehr getätigt werden. International wundert man sich schon sehr, dass wir in Deutschland wieder über Enteignungen diskutieren. Gerade in Berlin ist diese Diskussion ein wichtiger gesellschaftlicher Aspekt. Was meinen Sie, wie schnell die Investoren dieser Welt sagen, ich kann auch woanders investieren? Das fällt uns alles auf die Füße. 

mi: Das Bundesverfassungsgericht sollte doch eigentlich das Eigentum schützen. Stattdessen wird uns die Botschaft mitgeteilt, es gebe ein höherwertiges Recht, den Wunsch nach bezahlbarem Wohnraum, der das Eigentumsrecht zurückdrängt. Mit Eigentum ist individuelle Freiheit verbunden. Für alle Eigentümer bedeutet diese Entscheidung eine massive freiheitliche Einschränkung. 

Kolak: Diesen Wandel gibt es in vielen Bereichen. Schauen Sie sich die Hochschullandschaft an. Die 68er sind dort längst angekommen. Dies spüren wir jetzt auch bei solchen Themen. 

mi: Ihr Präsidentenkollege vom DSGV, Herr Schleweis, hat via Bild-Zeitung Herrn Draghi einen bösen Brief geschrieben wegen der Niedrigzinspolitik. Teilen Sie sein Anliegen und was bedeutet die Negativzinspolitik für die Altersvorsorge der mittelständischen Unternehmer? 

Kolak: Ich habe diese Debatte auf unserer Sommerpressekonferenz angestoßen. Wir haben auch als deutsche Kreditwirtschaft immer wieder signalisiert und wiederholt zum Ausdruck gebracht, jeder auf seine Art und Weise, dass die Niedrigzinspolitik massiv schädlich ist für unser aller Altersvorsorge. Wie soll man heute einem Kind erklären, dass es Sinn ergibt zu sparen? Unsere Grundkritik ist, dass diese Art und Weise der Geldpolitik nicht dazu beigetragen hat, dass die südeuropäischen Staaten strukturell Reformen angehen. Und die niedrigen Zinsen wurden in mehreren Ländern kaum zur Verringerung der Staatsschulden genutzt. Der Fairness halber muss man sagen, dass auch Deutschland das Maastricht-Kriterium früher nicht eingehalten hat. Ich habe letztens im Rahmen eines Gesprächs im Bundeskanzleramt gesagt, dass wir in Deutschland nur dann einen Beitrag für Europa leisten können, wenn wir selbst auch in der Zukunft stabil sind. Nettozahler können wir nur sein, sofern wir am Ende des Tages etwas erwirtschaftet haben. 

mi: Es gibt aktuell eine neue, besonders absurde Facette der Debatte um die Negativzinsen. Wir haben mit ihr unsere Haushalte saniert, ohne unsererseits haushaltspolitisch für schlechtere Zeiten vorzusorgen. Jetzt haben wir mühsam geschafft, dadurch das von der Währungsunion vorgegebene Ziel einer Gesamtverschuldung von maximal 60 Prozent des BIP einzuhalten, und jetzt kommen Politiker und sagen, wir sollen uns neu verschulden, weil die Kredite so günstig sind. Was wir auf der einen Seite durch die Niedrigzinsen gewonnen haben, verfrühstücken wir jetzt ein zweites Mal. Diese neuen Schulden sind ja die Steuererhöhungen der Zukunft, für eine Generation, die kaum noch finanziellen Spielraum hat. 

Kolak: Ich bin da bei Ihnen. Ausgaben nach dem Gießkannenprinzip darf es nicht geben. Wir haben vielmehr strukturelle Fragen zu lösen. Auch das Thema bezahlbares Wohneigentum ist ja nicht nur eine Frage des Preises, sondern auch eine Frage des  Planungsrechts. Da gibt es zu viele administrative Hürden, die ein Investor zu überwinden hat. Es braucht nicht immer sofort mehr Geld. Man muss erst mal einen Kassensturz machen und schauen, wie effizient die staatlichen Einnahmen denn eingesetzt werden. Und wenn wir sehen, an manchen Stellen gibt es Schwachstellen, dann müssen wir da auch bewusst investieren. Deutschland ist ja in Summe ein reicher Staat.  

mi: Ein Staat, der noch nie so viel Geld in den Händen hatte wie heute und gleichzeitig so viele Mängel beklagt, marode Straßen, marode Brücken und Bahnhöfe, eine Bundeswehr, die kaum noch einsatzbereit ist, fehlende Schienenwege, eine unzulängliche Digitale Infrastruktur, fehlende Polizisten und Richter, Pflegekräfte, die unterbezahlt werden, da stellt sich die Frage, was macht der Staat eigentlich mit seinem Geld? Wo ist die Diskussion über Präferenzen? Und dann reden wir über eine neue Finanztransaktionssteuer. Als würden die Aktiensparer nicht schon über die Abgeltungsteuer drangsaliert. Sie bestraft alle, die langfristig Altersvorsorge betreiben. Es gibt keine Spekulationsfrist mehr. Ob sie also als Daytrader oder als langfristiger Anleger unterwegs sind, ihre Gewinne werden immer mit 25 Prozent besteuert. 

Kolak: Ich finde es auch schlimm, dass beim Thema Unternehmenssteuerreform über zehn Jahre lang nichts passiert ist. Das beeinträchtigt unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die  Finanztransaktionssteuer würde in erster Linie Erwerber von Finanzprodukten, vor allem Unternehmen der Realwirtschaft und Altersvorsorgesparer, treffen. Der Grundgedanke der Finanztransaktionssteuer war, mit ihr zu versuchen, Geschwindigkeit aus den Derivaten rauszunehmen. Davon ist man gänzlich abgekommen. Übrig geblieben ist der französische Weg, mit der Finanztransaktionssteuer nur den Aktienhandel zu belasten. Sie ist der völlig falsche Ansatz. Sie trifft, wie sie es beschrieben haben, am Ende letztendlich den Bürger. Auf der einen Seite versucht die Regierung, über  vermögenswirksame Leistungenwie Riester- oder Rürup-Rente via Zulagen Altersvorsorge zu fördern und im gleichen Atemzug nimmt sie auf der anderen Seite die Förderung über die Einführung solcher Steuern wieder weg.  

mi: Gottfried Keller schreibt in seinem Buch „Der einfache Weg zum Wohlstand“ wörtlich von „einem unverschämten Rabenvater Staat“. Die Menschen, die sich über die Aktienanlage um ihre Altersvorsorge kümmern, würden dafür vom Staat mit der Abgeltungsteuer, plus Soli, plus Kirchensteuer noch nach über 20, 30 Jahren bestraft. Wir plädieren dafür, bei der Aktienanlage die Spekulationsfrist für langfristige Anleger wieder einzuführen. Die mag durchaus fünf oder zehn Jahre betragen. Der IWF hat dagegen vor kurzem auch noch ausgerechnet Deutschland dazu aufgefordert, Erbschaften und Schenkungen deutlich höher zu besteuern. Was erwarten Sie da von Frau Lagarde als EZB-Präsidentin? 

Kolak: Ob Frau Lagarde aus dem Korsett rauskommen kann, das Herr Draghi mit seinen letzten Amtshandlungen auch für die Zukunft geschnürt hat, bleibt abzuwarten. Die Fairness verlangt eigentlich, dass ein Manager, der weiß, dass er ausscheidet, ganz bewusst seinem Nachfolger einen Freiraum lässt, damit derjenige die Chance hat, das für sich neu zu bewerten. Danach sieht es bei der EZB nicht aus. Ob Frau Lagarde die Zinsen mal eben von 0 auf 1 drehen kann, ist eher zweifelhaft. Das würde im Übrigen auch für Jens Weidmann gegolten haben. 

mi: Ihr Vorgänger im Amt, Herr Fröhlich, hat im letzten Jahr hier in Düsseldorf bei einer Veranstaltung gesagt, man müsse eigentlich Herrn Weidmann wünschen, dass er nicht EZB-Präsident werde, weil er sonst wahrscheinlich das Problem bekäme, dass er das, wofür er steht, gar nicht hätte umsetzen können und er der geprügelte Hund gewesen wäre, der gar nichts dafür gekonnt hätte. Kommen wir zu etwas Banalerem: Die BaFin hat gestern erklärt, es werde für die berühmte Zwei-Faktor-Authentifizierung eine Übergangsfrist geben. Das ist eigentlich unverständlich, weil der Termin 14. September 2019, ab dem dieses Verfahren gelten sollte, bereits seit langem feststand. Handel und Banken schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu, warum es bisher nicht klappt. Wie bewerten Sie das? 

Kolak: Die gesamte deutsche Kreditwirtschaft hat sich lange auf die so genannte Zahlungsdienste-Richtlinie 2 (PSD2) vorbereitet. Sie hat enorme Investitionen getätigt, um die Anforderungen zu erfüllen. Die Richtlinie sieht beispielsweise auch vor, dass Dritte mit Einwilligung des Bankkunden in sein Konto Einblick nehmen dürfen. Die Bank muss also einen virtuellen Raum schaffen, den ein Dritter nach Registrierung betreten darf. Es sind Schnittstellen geschaffen worden, über die ein Dritter Zugriff auf Ihre persönlichen Kontobewegungen nehmen und Daten abziehen kann. Wir als Banken mussten diese Infrastruktur schaffen, im Umkehrschluss haben wir diesen Zugang aber beispielsweise bei Apple nicht. Wir scheuen den Wettbewerb nicht, aber bitte zu fairen Rahmenbedingungen. Wir haben als Banken Investitionen tätigen müssen, die wir nicht bepreisen dürfen. 

mi: Aber für den Händler ist das Problem, dass er gar nicht weiß, welche Kontoverbindung sein Kunde hat und welches Authentifizierungsverfahren dessen Bank benutzt. 

Kolak: Die Banken haben ihre Vorbereitungen für die Umsetzung der starken Kundenauthentifizierung durch Einsatz des 3-D Secure-Verfahrens im Wesentlichen abgeschlossen. Jetzt muss der Handel mit Onlinegeschäft die Vorbereitungen weiter vorantreiben. Nur der Händler oder sein Zahlungsdienstleister kann beim Einsatz der Kreditkarte im Onlinegeschäft den Einsatz des 3-D Secure-Verfahrens auslösen. Andererseits ist das auch keine Atomwissenschaft. 

mi: Setzt sich der BVR dafür ein, den Solidaritätszuschlag für alle abzuschaffen, nicht nur bei der Einkommensteuer, sondern auch bei der Kapitalertragsteuer und der Körperschaftsteuer? 

Kolak: Ja, absolut. Wichtig wäre, den Solidaritätszuschlag für alle Steuerpflichtigen – also auch für mittelständische Familienunternehmen und Kapitalgesellschaften – abzuschaffen. 

mi: Sie machen als Verband auch Erhebungen zur Konjunktur und zu den Konjunkturerwartungen. Die aktuelle stammt vom Frühjahr. Dort wurden Unternehmer gefragt, wie sie die aktuelle Lage ihres Unternehmens einschätzen und was sie in Zukunft erwarten. Im Gesamtergebnis gaben 15,6 Prozent an, ihr Geschäftsklima sei „sehr gut“, „gut“ sagten 70,8 Prozent, „eher schlecht“ 9,7 Prozent und „schlecht“ 3,1 Prozent. Schaut man auf die Ergebnisse für den Bereich Handel, sind die Werte überraschend besser als im Durchschnitt: 17,1 Prozent schätzten ihre Lage als „sehr gut“ ein, „eher schlecht“ nur 8,9 Prozent und als „schlecht“ nur 2,4 Prozent. Ganz anders lauten die Ergebnisse, blickt man auf die Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten, also klassische Fachhändler. Dort bezeichnete niemand die Geschäftslage als „sehr gut“, „gut“ beurteilten sie 41,7 Prozent, „eher schlecht“ 50,0 Prozent. Das scheint uns sehr realistisch zu sein. Müssen wir uns nicht Sorgen machen, wenn in einem Wirtschaftsbereich wie dem Handel die Stimmung zwar gut ist, aber die Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten, die ungefähr 4/5 aller Geschäftsstellen in Deutschland bilden, sagen, bei ihnen sehe es eher mau aus? 

Kolak: Das ist spiegelbildlich das, was sich auch bei uns in der Branche zeigt. Nicht nur die kleineren Banken haben in Summe Respekt beim Thema Digitalisierung. Betriebe müssen sich erstmal so von administrativen Tätigkeiten freischaufeln, dass sie wirklich mal einen Moment Zeit haben zu überlegen, was sie tun müssen, um ihr Haus zukunftsfest zu machen. Das ist auch für die Banken eine entscheidende Frage. Deshalb brauchen wir Initiativen, die Entlastungen bringen und Strategien, wie auch wir aus unserer guten Marktposition basierend auf dem dezentralen Geschäftsmodell der selbstständigen Genossenschaftsbanken vor allem digital noch deutlich mehr machen können. Das ist für uns ein großes Thema. Denn die mittelständischen Unternehmen  sind schon immer das Rückgrat unserer Wirtschaft gewesen, nicht die Konzerne. 

mi: Das ist ein prima Schlusswort. Vielen Dank, Frau Kolak, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns Einblicke gewährt haben, wie man aus anderer Warte auf die Themen blickt, die uns hier beschäftigen.