Altmaier will Pflichtmitgliedschaft in IHKn auf DIHK ausdehnen!
In der Mittelstandsausgabe vom 8. Januar hatten wir berichtet, die erste IHK, die IHK Mittleres Ruhrgebiet, habe freiwillig ihre Mitgliedschaft im Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) gekündigt. Der Rest der Kammern verharrt in Schockstarre aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), wonach IHKn zum Austritt aus dem DIHK gezwungen werden können (im konkreten Fall die IHK Nord Westfalen). Inzwischen hat sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier des Problems angenommen, allerdings auf zynische Weise. Sein Ministerium arbeitet an einer Novelle des IHK-Gesetzes, die als Lösung des Problems vorsieht, den DIHK, der bisher rechtlich ein Verein ist, in eine Körperschaft des öffentlichen Rechts umzuwandeln. Gleichzeitig werden alle IHKn verpflichtet, Pflichtmitglied dieser neuen Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu werden (vgl. Mi 01/21)! Zur Begründung dieser Maßnahme heißt es im Gesetzentwurf: „Bereits mit dem Austritt dieser IHK [IHK Nord Westfalen, Anm. d. Red.] ist auf Bundesebene nicht mehr die Vollständigkeit für die Tätigkeit des DIHK e. V. gegeben. Folgen künftig weitere Kündigungen von IHKs, ist die Vertretung des Gesamtinteresses der IHKs auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene durch den DIHK e. V. nicht mehr möglich und auch die Finanzierung der Aufgaben des DIHK e. V. ist nicht mehr gewährleistet.“
Ob dieser Dreistigkeit fehlen selbst uns erst einmal die Worte. Nicht nur, dass damit eine neue Pflichtmitgliedschaft begründet würde, sondern eine übergeordnete DIHK, „die das Gesamtinteresse der Kammerzugehörigen in der Bundesrepublik Deutschland wahrzunehmen“ hätte, würde viele bestehende IHKn praktisch bedeutungslos machen. Großzügig erlaubt denen der Entwurf in § 10 a „nach Maßgabe des § 10 der Deutsche Industrie- und Handelskammer Aufgaben zu übertragen, soweit die Vollversammlung der Deutsche Industrie- und Handelskammer zustimmt“. Das scheint bei den IHKn noch nicht angekommen zu sein. Öffentliche Beschwerden sind jedenfalls bisher nicht laut geworden. Für die Zwangsmitglieder der IHKn besteht mit dieser Gesetzesänderung die Gefahr, dass die Kompetenzüberschreitung des aktuellen DIHK durch die neue DIHK noch ausgeweitet wird. Die Kläger, die auf dem Austritt ihrer IHK aus dem derzeitigen DIHK bestehen, wollen schlicht nicht gezwungen werden, Zwangsbeiträge für Stellungnahmen einer Organisation aufzubringen, die gegen ihre eigenen geschäftlichen Interessen agiert, ohne dass sich die Unternehmen in den Entscheidungsfindungsprozess einbringen können. Die Kampagne, mit der der DIHK und die IHKn derzeit versuchen, sich als Opfer einzelner Rebellen darzustellen, die ihnen jedwede Meinungsäußerung verbieten wollen, geht völlig am Kern der Sache vorbei. Verfassungsrechtlich können Unternehmen nur zu Zwangsmitgliedschaften verpflichtet werden, wenn es dafür übergeordnete höherwertige Interessen gibt. Und nur zur Erreichung dieser Zwecke dürfen sich die Organe solcher Zwangskooperationen nach Behandlung in den vorgesehenen Gremien äußern.
Neben dem Bundesverband für freie Kammer (bffk) wehrt sich auch der Verband UnternehmensGrün massiv gegen diese geplante Gesetzesänderung. Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün, stellt empört fest: „Wir fragen uns, wer den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie geschrieben hat. War es der DIHK selbst, der hier die Feder führte?“ Viele Unternehmen, die sich nachhaltig und klimafreundlich aufgestellt hätten, würden sich oft in den Stellungnahmen des DIHK nicht wiederfinden, beispielsweise wenn dort Klimaschutz-Maßnahmen vorwiegend als 'Last' bezeichnet würden. „Der Gesetzesentwurf des Bundeswirtschaftsministers“, so Klaus Stähle, Rechtsanwalt und Vorstand UnternehmensGrün, „lässt auf erschreckende Weise die Handschrift des DIHK und seiner Funktionäre erkennen. Eine heterogene Wirtschaft, die per Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern vereinigt ist, kann keine Stellungnahmen in einem unterstellten Gesamtinteresse in der Öffentlichkeit zu wirtschaftspolitischen Fragen abgeben. Es gibt schlichtweg diese gesamtgesellschaftliche Verantwortung in den Industrie- und Handelskammern im gesellschaftspolitischen Diskurs nicht.“
Wie wenig das BMWi an einer sachlichen Behandlung der Thematik interessiert ist, zeigt auch die vorgegebene Frist für die Verbändeanhörung. Eingeladen wurden die Verbände am 14. Dezember 2020, abgegeben werden mussten die Stellungnahme bis zum 31. Dezember 2020! Kai Boeddinghaus, Bundesgeschäftsführer des bffk, stellt dazu in einem Offenen Brief an Altmaier fest: „Völlig unabhängig von den besonderen Belastungen der Arbeitsgestaltung durch die Corona-Pandemie, völlig unabhängig davon, dass hier die Weihnachtstage und der Jahreswechsel in diesem Zeitraum liegen, sind 11 Arbeitstage – und da zählen wir bereits den 24ten und 31ten Dezember als halbe Tage mit – keine Zeitspanne, in der sich eine solche Stellungnahme seriös erarbeiten lässt. Unter Berücksichtigung von Corona und der besonderen Jahreszeit drängt sich der Eindruck auf, dass die Anhörung als lästige Formalie erledigt wird, es aber an fundierten Stellungnahmen eigentlich kein Interesse gibt.“ Wie absurd diese Fristsetzung ist, zeigt sich daran, dass der Gesetzentwurf auf der anderen Seite zur Umsetzung der neuen Körperschaft vier Jahre vorsieht! Wörtlich heißt es dazu: „Wahrnehmung der Aufgaben der Bundeskammer durch den DIHK e. V. für eine Übergangsphase von vier Jahren bis zum Vollzug der Umwandlung; Einführung einer Pflichtmitgliedschaft aller IHKs im DIHK e. V. während der Übergangsphase.“
Und noch ein Punkt ärgert Boeddinghaus massiv. Das BMWi hat auch den DIHK zu einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf aufgefordert. „Damit“, so Boeddinghaus, „fordert Ihr Haus den DIHK offensiv zum Rechtsbruch auf. Denn es gibt in der gesamten Kammerorganisation zu den Inhalten der von Ihnen vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen keinerlei Beratung und Beschlussfassung. Völlig unabhängig von der grundsätzlichen Debatte um den Kammerzwang gibt es auch in der Kammerorganisation erhebliche Vorbehalten gegen einen DIHK als übergeordneter Körperschaft.“ Nach den einschlägigen Urteilen des BVerwG dürfte der DIHK sich zu dem Gesetzentwurf nur äußern, sofern zumindest in einzelnen Kammern über die Thematik eine Willensbildung stattgefunden hätte. Sollte dieser Entwurf Gesetz werden, sollte Altmaier sofort zurücktreten. Immerhin, einen ersten Erfolg der Kritiker gibt es: Die Beschlussfassung über den Gesetzentwurf sollte ursprünglich bereits am 20. Januar im Kabinett erfolgen. Jetzt ist der 10. Februar vorgesehen.
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